Galaktische Anatomie mittels Gammastrahlung

1. Februar 2015

Die Anatomie der Milchstraße, betrachtet im Gammalicht, ist besonders rätselhaft. So gibt es mysteriöse, gigantische Blasen über und unter dem Zentrum der Milchstraße, die solche hochenergetische Strahlung aussenden. Ein neues Verfahren zur Bildgebung, entwickelt am Max-Planck-Institut für Astrophysik, hat die galaktische Gammastrahlung nun in nur drei fundamentale Komponenten zerlegt: Strahlung von Punktquellen, Strahlung aus Reaktionen energetischer Protonen mit dichten, kalten Gaswolken, sowie Strahlung von Elektronen, die mit Licht in dünnem, heißem, galaktischem Gas kollidieren. Die damit gewonnenen anatomischen Einblicke helfen einige Rätsel der Milchstraße zu lüften. So zeigt sich, dass die Gammablasen einfach nur Ausflüsse von gewöhnlichem, heißem Gas aus dem Zentralbereich der Milchstraße sind.

Der Himmel im Licht der Gammastrahlung zeigt eine Vielzahl von Objekten, Strukturen und astrophysikalischen Prozessen (Abb. 1). Am prominentesten leuchtet die Milchstraße und macht einen großen Teil der Punktquellen sowie den überwiegenden Teil der diffusen Gammastrahlung des Himmels aus. Die verschiedenen Strahlungsquellen erscheinen überlagert, was deren Identifikation und Interpretation erschwert. Des Weiteren messen unsere Instrumente, wie der Fermi-Satellit, einzelne, zufällig eintreffende Gamma-Photonen. Diese sind höchst energetische Lichtteilchen, aus denen erst mit aufwendigen bildgebenden Verfahren Himmelskarten errechnet werden müssen. Ein neues solches Verfahren zum Entrauschen, Entfalten und Entwirren von Photonenbeobachtungen, genannt D3PO für Denoising, Deconvolving, and Decomposing Photon Observations, wurde am Max-Planck-Institut für Astrophysik entwickelt und hat nun aus den Daten des Fermi-Satelliten die bisher brillianteste Gammastrahlungskarte des Himmels erzeugt.

D3PO hat den Gammahimmel bei neun Photonenenergien in Punktquellen und diffuse Strahlung zerlegt. Aus diesen lässt sich ein farbiges Bild erzeugen (Abb. 1), welches den Himmel zeigt wie er, betrachtet mit Gammaaugen, aussehen würde. Die verschiedenen astrophysikalischen Prozesse lassen sich darin anhand ihrer unterschiedlichen Energiespektren, sichtbar als unterschiedliche Farben, erkennen. Die Gammablasen über (und unter) dem Zentrum der Milchstraße erscheinen blau-grünlich, was von besonders energiereicher Gammastrahlung kündet. Diese sollte hauptsächlich durch Zusammenstöße nahezu licht-schneller Elektronen mit Sternenlicht und anderen Photonen erzeugt worden sein. Die orange-braunen Regionen am rechten und linken Bildrand zeugen hauptsächlich von Kollisionen nahezu licht-schneller Protonen mit Atomkernen in dichten, kalten Gaswolken.

Die große Überraschung jedoch war, dass die zentrale, helle galaktische Scheibe, sowie eigentlich alle anderen Bereiche des Himmels, im Wesentlichen einfach nur eine Überlagerung dieser beiden Prozesse ist: Stöße von Protonen mit Atomkernen und von Elektronen mit Lichtteilchen. Zerlegt man die diffuse Gammastrahlung in nur diese beiden Prozesse (Abb. 2), bleibt weniger als 10% der Strahlung übrig - und dies an allen Orten des Himmels und bei allen untersuchten Energien. Die gesamte diffuse galaktische Gammastrahlung wird also fast ausschließlich durch zwei typische Medien hervorgebracht: dichte, kalte Gaswolken und dünnes, heißes Gas zwischen diesen. In der Tat zeigt die aus den Wolken stammende Gammastrahlung die gleiche räumliche Himmelsverteilung wie die Staubwolken der Milchstraße, die im Mikrowellenbereich durch den Planck-Satelliten vermessen wurden.

Die in den mysteriösen Gammablasen erzeugte Strahlung durch Elektronen unterscheidet sich in ihrer Farbe nicht von der Strahlung aus der galaktischen Scheibe. Dies legt nahe, dass wir an beiden Orten dasselbe Material sehen: heißes Gas, welches durch Sternexplosionen mit nahezu licht-schnellen Elektronen angereichert wurde. Die Gammablasen sind daher einfach aufsteigende heiße Gasmassen, die den Zentralbereich unserer Milchstraße verlassen.

Neben der Enträtselung der Gammablasen hat die D3PO-Analyse der Anatomie galaktischer Gammastrahlung noch eine Reihe von weiteren wissenschaftlichen Ergebnissen geliefert. So konnte gezeigt werden, dass die kalten Gaswolken, die durch die Gammastrahlung kartographiert wurden, sich bis in größere Höhen über der galaktischen Ebene erstrecken als die Staubwolken, die der Planck-Satellit vermessen hat. Dies wird zwar aufgrund der höheren Masse von Staubteilchen im Vergleich zu den Gasteilchen in den Gaswolken bereits erwartet, ist aber eine schöne Bestätigung der astrophysikalischen Korrektheit dieser anatomischen Zerlegung der Milchstraße im Gamma-Licht. Weiterhin konnte ein umfangreicher Katalog von Punktquellen vorgelegt werden und darin – leider erfolglos – nach Gammastrahlung von Galaxienhaufen gefahndet werden.

Der D3PO-Algorithmus, der all dies ermöglicht hat, ist mittlerweile frei verfügbar und wird in Zukunft auch astronomische Bilder bei anderen Wellenlängen des Lichtes liefern. Er wurde von Marco Selig im Rahmen seiner gerade mit Auszeichnung beendeten Promotion an der Ludwig-Maximilians-Universität München mittels Informationsfeldtheorie) hergeleitet und mittels der ebenfalls frei verfügbaren NIFTY-Software implementiert. Die Informationsfeldtheorie befasst sich mit der Mathematik der Bildgebung komplexer Daten und ist zentraler Schwerpunkt der Forschungsgruppe von Torsten Enßlin am Max-Planck-Institut für Astrophysik.

Marco Selig, Valentina Vacca, Niels Oppermann, Torsten Enßlin

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