Die Peinlichkeit falscher Vorhersagen -
Wie kommuniziert man Wahrscheinlichkeiten?
Wer kennt das nicht? Der Wetterbericht hat schönes Wetter vorhergesagt, scheinbar mit hundertprozentiger Wahrscheinlichkeit. Der Regenschirm blieb zu Hause, und jetzt steht man im Regen. Das ist nicht nur ärgerlich, sondern auch peinlich für den Wetterdienst. Wusste es der Wetterdienst nicht besser, oder hat er seine Vorhersage nur ungeschickt formuliert?
Für effiziente Kommunikation muss man Aussagen vereinfachen. So gibt der Wetterdienst beispielsweise gerundete Wahrscheinlichkeiten für grobe Wetterkategorien weiter, auch wenn intern viel differenziertere Werte genutzt werden. Aber wie viel Vereinfachung ist möglich bevor man riskiert, dass es peinlich wird? Und wie misst man die Peinlichkeit einer Vorhersage überhaupt?
Reimar Leike und Torsten Enßlin am Max-Planck-Institut für Astrophysik stießen auf diese Frage bei der Entwicklung von astronomischen Bildgebungsverfahren. Sie zeigen, dass man nur zwei Anforderungen an eine kommunizierte Vorhersage stellen muss um entscheiden zu können, was optimal ist. Erstens: Falls es möglich ist die präzisen Wahrscheinlichkeiten zu kommunizieren, sollten auch genau diese kommuniziert werden. Die zweite Forderung ist etwas komplexer: Die Güte einer Vorhersage bemisst sich allein daran, welche Wahrscheinlichkeit sie dem letztendlich eintretenden Ereignis zugewiesen hat. Die kommunizierten Wahrscheinlichkeiten für nicht eingetretene Ereignisse sind irrelevant.
Um zu entscheiden, wie eine komplexe Wahrscheinlichkeit in eine vereinfachte Vorhersage überführt werden kann, führen die Forscher ein Maß ein, welches sie die Peinlichkeit der Vorhersage nennen. Aus den genannten Forderungen folgerten sie mathematisch, dass die Peinlichkeit einer Vorhersage dem negativen Logarithmus der kommunizierten Wahrscheinlichkeit des letztendlich eintretenden Ereignisses entspricht. Diese Größe wird auch oft der Grad der Überraschung genannt. Eine Vorhersage, bei der man überrascht wird, wenn man ihr glaubt, kann in der Alltagssprache auch als peinlich bezeichnet werden.
Da das letztendlich eintretende Ereignis zum Zeitpunkt der Vorhersage noch unbekannt ist, kann man die erwartete Überraschung nur schätzen. Dabei berücksichtigt man für alle möglichen Ereignisse sowohl wie peinlich deren kommunizierte Vorhersage ist, falls dieses Ereignis eintritt, als auch deren Wahrscheinlichkeit. Die erwartete Peinlichkeit der vereinfachen Vorhersage sollte möglichst gering sein, indem die Mitteilung entsprechend angepasst wird.
Dabei ergibt sich, dass einer vereinfachten Vorhersage möglichst wenig Information fehlen sollte. Das mag vielleicht offensichtlich klingen, ist aber eine präzise mathematische Handlungsanweisung für die Vereinfachung von Wahrscheinlichkeiten. So sagt diese Anweisung, dass es insbesondere besser ist, kleine Wahrscheinlichkeiten aufzurunden als abzurunden. Eine Regenwahrscheinlichkeit von vier Prozentpunkten sollte besser mit zehn Prozent kommuniziert werden als mit Null Prozent, selbst wenn letzteres den üblichen Rundungsregeln entspricht. Eine Angabe von Null Prozent Regenwahrscheinlichkeit wäre unendlich peinlich, falls es doch regnen sollte. Gemäß der Skala der Forscher entspricht dem Eintreten eines unmöglichen Ereignisses (mit Null Wahrscheinlichkeit) nämlich eine unendlich große Überraschung (weil der negative Logarithmus von Null unendlich ist).
Die Arbeit von Reimar Leike und Torsten Enßlin klärt nicht nur eine akademische Fachfrage – in der Tat gibt es Verwirrung in der Fachliteratur über die optimale Vereinfachung von Wahrscheinlichkeiten – sie hat auch sehr praktische Konsequenzen für scheinbar so verschiedene Gebiete wie Kommunikation, astronomische Bildgebung, und künstliche Intelligenz. All diese Felder arbeiten mit Wahrscheinlichkeiten und müssen diese bisweilen vereinfachen - aber bitte ohne dass es peinlich wird.