Schwarzes Loch als Video: M87* in Zeit, Raum und Frequenz
Im April 2017 beobachtete das Event Horizon Telescope (EHT) das super-massive Schwarze Loch M87* und lieferte ein Bild von dessen Schatten, welches um die Welt ging. Forscher am Max-Planck-Institut für Astrophysik haben nun aus den zugrundeliegenden Daten ein Video der unmittelbaren Umgebung eines Schwarzen Lochs rekonstruiert. Dieses bestätigt nicht nur die bisherigen Erkenntnisse, es zeigt auch neue Strukturen und Dynamik in der Gasscheibe um das Schwarze Loch.
Schwarze Löcher sind zwar schwarz, da sie jegliches Licht verschlucken, welches auf sie fällt, aber ihre Umgebung kann sehr hell sein. So ist das Schwarze Loch M87* im Zentrum unserer Nachbargalaxie M87 von einem Mahlstrom aus Gasmassen umgeben, welche, bevor sie in das Schwarze Loch stürzen, eine hell leuchtende Scheibe bilden. Von der Erde aus gesehen erscheint M87* aufgrund der großen Entfernung allerdings winzig. Der Winkeldurchmesser des Schwarzen Lochs entspricht dem eines von London aus betrachteten Stecknadelkopfs in New York. Die Scheibe um M87* ist nicht wesentlich größer.
Um diese Scheibe abbilden zu können, musste die EHT-Kollaboration sieben Radioteleskope, die verteilt über die ganze Erde aufgestellt sind, zu einem einzigen, erdgroßen Teleskop zusammenschalten. Nur so konnte die nötige Winkelauflösung erreicht werden, die es erlaubte, ein Bild der Umgebung von M87* zu erhalten. Dieses Bild zeigt nicht nur die spektakuläre Gasscheibe mit dem Schatten des Schwarzen Lochs in der Mitte, sondern erlaubt es auch, Eigenschaften des Schwarzen Lochs zu bestimmen, sowie physikalische Theorien zu testen, wie die für Schwarze Löcher maßgebliche Allgemeine Relativitätstheorie.
Die Messdaten der sieben Radioteleskope ergeben dieses Bild nicht direkt. Die Petabyte an Rohdaten, die die einzelnen Teleskope durch synchrone Messungen während eines Zeitraums von einer Woche aufgenommen hatten, mussten zu einem Supercomputer gebracht werden, wo sie korrelliert und kalibriert wurden. Die Daten beschreiben daraufhin, wie stark die Helligkeitsverteilung des echten Bildes bestimmte Wellenmuster enthalten. Hierbei sind Orientierung und Länge der vermessenen Wellen durch den Abstand der Teleskope gegeben. Hat man alle Wellenmuster eines Bildes gemessen, kann man leicht aus diesen das Ursprungsbild errechnen. Allerdings bleiben nach dem Zusammenführen der Rohdaten nur wenige Kilobyte an Daten übrig, was nur einem winzigen Bruchteil der vollen Bildinformation entspricht. Daher mussten zur Berechnung des Ursprungsbildes plausible Annahmen gemacht werden, z.B. dass dieses sich nicht erratisch von einem Ort zum nächsten ändert. Damit gelang es der EHT-Kollaboration mittels aufwändiger Rechnungen, das bekannte Bild von M87* zu erhalten (siehe Abbildung 1 unten rechts).
Mit genau diesen unvollständigen Daten konnte nun das Team von Wissenschaftlern des Max-Planck-Instituts für Astrophysik (MPA) ein frequenzaufgelöstes Video der Gasscheibe um M87* errechnen (siehe Abbildung 2). Dafür nutzten die Wissenschaftler aus, dass die Beobachtungskampagne eine Woche umfasste, während welcher sich die Gasscheibe wandeln konnte. Zwar beträgt die Ausdehnung der Scheibe einige Lichttage, doch strömt das Gas darin auch mit einem signifikanten Bruchteil der Lichtgeschwindigkeit. Daher sollten Änderungen in der Helligkeitsverteilung der Scheibe innerhalb weniger Tage möglich sein. Für ein Video, welches für jeden Zeitpunkt der sieben Tage ein eigenes Bild enthält, war die Datenlage noch spärlicher als für das Bild der EHT-Kollaboration. Daher nahm das MPA-Team zusätzlich an, dass sich die Helligkeiten nicht nur räumlich, sondern auch zeitlich und bezüglich der Messfrequenz nur begrenzt ändern.
Der verwendete Algorithmus zur Berechnung des Videos wurde mittels der am MPA entwickelten Informationsfeldtheorie erstellt (siehe Abbildung 2). Der Video-Algorithmus kombiniert das Wissen über die Positivität von Helligkeiten mit deren Korrelationen in Zeit, Raum und Frequenz, um nicht nur einzelne Bilder, sondern ein spektral aufgelöstes Video zu generieren. Da die spärlichen Messdaten nicht alle Bildeigenschaften zweifelsfrei festlegen können, verbleiben Unsicherheiten. Diese behandelt der Algorithmus mittels Wahrscheinlichkeitsberechnungen und indem er einen Satz von möglichen Videos liefert. Die Unterschiede dieser Videos zeigen die Unsicherheiten auf, deren gemeinsamer Mittelwert die mit großer Sicherheit identifizierten Strukturen. Dieses gemittelte Video ist das Hauptergebnis der Studie der MPA-Wissenschaftler, die sie in Nature Astronomy publizierten.
Dieses neue Video zeigt, dass sich die Helligkeitsverteilung der Gasscheibe um M87* innerhalb von einer Woche leicht ändert (Abbildung 3). Eine Reihe von Strukturen, die sich in dem Bild der EHT-Kollaboration um die Gasscheibe herum zeigen, ist in dem Video nicht zu finden (siehe Abbildung 1). Diese waren vermutlich Artefakte der Bildgebung der EHT-Kollaboration. Allerdings stellten sich zwei leuchtende Strukturen außerhalb der Scheibe als robust heraus. Diese könnten eventuell durch einen von der Scheibe ausgehenden Ausfluss von heißen Gasen entstanden sein.
Der Algorithmus erlaubt einen neuen Blick in das zeitveränderliche Universum, welches neben schwarzen Löchern selbst auch deren evolvierende Jets beinhaltet. Ein besonders spannendes Ziel für zukünftige Anwendungen ist Sagittarius A*, das super-massive Schwarze Loch im Zentrum unserer Milchstraße. Da es deutlich kleiner ist als M87*, verändert es sich auf Zeitskalen von Minuten, was die Anwendung herkömmlicher Bildgebungsmethoden unmöglich macht. Der Algorithmus ist auch nicht nur auf den Radiobereich beschränkt, so entdeckte kürzlich eine für das Infrarot-Instrument GRAVITY adaptierte Version des Algorithmus einen schnellen Stern, der Sagittarius A* passierte (siehe auch).
Philipp Arras, Torsten Enßlin, Jakob Knollmüller, Martin Reinecke