Die rotierende Radiostrahlung der Milchstraße – ein Steckbrief
Der Raum zwischen den Sternen der Milchstraße ist nicht leer, sondern mit Gas, Staub, Magnetfeldern, und fast lichtschnellen Teilchen - der so genannten kosmischen Strahlung - gefüllt. Diese besteht aus Atomkernen, Elektronen sowie kleinen Mengen Antimaterie, insbesondere Positronen und Antiprotonen. Ein Teil der kosmischen Strahlung erreicht die Erde direkt, man kann sie aber auch indirekt nachweisen, da die lichtschnellen Elektronen und Positronen Radiostrahlung aussenden; diese Strahlung ist bereits detektiert und vermessen worden (Abb. 1). Bislang ist es jedoch fast unmöglich zu unterscheiden, ob die Strahlung von Elektronen oder Positronen herrührt.
Einen Hinweis könnte die zirkular polarisierte Radiostrahlung geben, da Elektronen und Positronen einen unterschiedlichen Drehsinn aufweisen. Allerdings macht diese Strahlung weniger als ein Tausendstel der galaktischen Radiostrahlung aus; Forscher haben sie daher noch nie detektieren können. Mehr noch: Astronomen haben keine genaue Vorstellung davon, wie diese Strahlung überhaupt aussehen sollte, sie wissen also nicht, nach welchen Mustern sie am Himmel suchen sollten. Diese Lücke füllt nun die Arbeit von Torsten Enßlin und seinen Kollegen. Die Astrophysiker zeigen, dass bereits ausreichend Information über das Magnetfeld der Milchstraße existiert, um die Zirkular-Polarisation abzuschätzen.
Drei Bedingungen müssen erfüllt sein, damit ein Raumgebiet Zirkular-Polarisation abstrahlt. Erstens muss es einen Überschuss an lichtschnellen Elektronen (oder Positronen) geben, damit eine Vorzugsrichtung der Rotation dieser Teilchen im Magnetfeld existiert. Zweitens muss das Magnetfeld wenigstens teilweise auf den Beobachter ausgerichtet sein, damit die Rotationsrichtung in der Himmelsprojektion sichtbar ist. Und drittens darf das Magnetfeld nicht völlig in Richtung der Sichtlinie liegen, da die Radiostrahlung bevorzugt quer zum Magnetfeld ausgesendet wird.
Information über die Menge der lichtschnellen Elektronen und Positronen und der Querkomponente des Magnetfeldes ist durch die bereits kartographierte Radiostrahlung der Milchstraße gegeben (Abb. 1). Allgemein wird angenommen, dass diese Emission im Wesentlichen durch Elektronen erzeugt wird und Positronen nur einen kleinen Anteil haben.
Information über die Sichtlinienkomponente des Magnetfeldes liefern Messungen des sogenannten Faraday-Effektes. Dabei wird linear polarisiertes Licht von Radiogalaxien außerhalb der Milchstraße beim Durchqueren von galaktischen Magnetfeldern gedreht, und zwar in Abhängigkeit von deren Stärke und Ausrichtung entlang der Sichtlinie. Die Radiowellen treten dabei mit langsamen thermischen Elektronen des galaktischen Gases in Wechselwirkung, die gleichzeitig Kreisbewegungen in den Magnetfeldern ausführen. Die Drehung der Linear-Polarisation des Lichtes erfolgt entgegen dem Drehsinn dieser Elektronen. Da der Faraday-Effekt bei verschiedenen Radiofrequenzen unterschiedlich stark auftritt, kann er detektiert und kartographiert werden. Eine solche Faraday-Karte des Himmels wurde bereits 2012 durch Niels Oppermann in der Arbeitsgruppe von Torsten Enßlin angefertigt (Abb 2., MPA Highlight November 2012). Diese zeigt die aufsummierten galaktische Magnetfeldkomponenten, die parallel zu den Sichtlinien sind.
Somit existieren Informationen über alle drei nötigen Komponenten: die Zahl der lichtschnellen Elektronen und die Stärken der beiden involvierten Magnetfeldkomponenten. Die Beobachtungsinformationen sind allerdings immer nur als Summe entlang einer Sichtlinie gegeben. Für eine genaue Vorhersage der Zirkular-Polarisation wären noch weitere Daten nötig, die beschreiben, wie diese drei Komponenten sich entlang der Sichtlinien verteilen.
Um diese Verteilung auch in der dritten Dimension abzuschätzen, zieht Torsten Enßlin bekannte und plausible statistische Eigenschaften von turbulenten Magnetfeldern heran. Damit kann er zeigen, dass die Details der Statistik keinen großen Einfluss haben, solange die Magnetfelder keine unwahrscheinlichen Strukturen besitzen. Der Doktorand Sebastian Hutschenreuter fertigte anschließend mit einem groben Modell der Verteilung von thermischen und lichtschnellen Elektronen sowie der magnetischen Energie in der Milchstraße aus den beobachteten Radio- und Faradaykarten eine Vorhersage der Zirkular-Polarisation (Abb. 3).
Die Details der Vorhersage sind nicht alle zuverlässig, da unsichere Annahmen gemacht werden mussten. Die Karte sollte aber dennoch häufiger die bevorzugte Drehrichtung der tatsächlichen Zirkular-Polarisation anzeigen als deren Gegenteil. Diese statistische Vorhersage kann genutzt werden um das äußerst schwache Signal der Zirkular-Polarisation zu suchen.
In einem nächsten Schritt müsste nun in den Daten der existierenden und im Aufbau befindlichen terrestrischen Radioteleskopen nach dem kleinen aber feinen vorhergesagten Muster der Zirkular-Polarisation gesucht werden. Würde es gelingen, die rotierende Strahlung zu detektieren, könnten Astronomen wichtige Schlüsse über das galaktische Magnetfeld ziehen und bestätigen, dass Elektronen und nicht Positronen die Radiostrahlung der Milchstraße erzeugen.