Dreidimensionale Computermodelle stützen Neutrinos als Ursache von Supernovaexplosionen
Neueste Computersimulationen in drei Dimensionen nähern sich einer Antwort auf die jahrzehntealte Frage wie massereiche Sterne als Supernovae explodieren. Bereits Mitte der 1960er Jahre wurde vorgeschlagen, dass Neutrinos dabei eine zentrale Rolle spielen, weil der neu entstehende Neutronenstern im Zentrum eines sterbenden Sterns diese in riesiger Zahl abstrahlt. Doch erst jetzt, mit den stärksten verfügbaren Supercomputern, konnten die Wissenschaftler zeigen, dass dieser neutrinogetriebene Explosionsmechanismus tatsächlich funktioniert.
Supernovae gehören zu den hellsten und gewaltigsten Explosionen im Universum. In ihnen werden Neutronensterne und Schwarze Löcher geboren, und sie produzieren und verteilen auch schwere chemische Elemente bis zum Eisen und möglicherweise noch schwerere Atomkerne, die bei der Explosion entstehen. Ein besseres Verständnis des Mechanismus, der zur Explosion von Supernovae führt, ist daher von zentraler Wichtigkeit, um die Rolle von Supernovae im kosmischen Materiekreislauf genau zu definieren.
Sterne mit mehr als der achtfachen Masse der Sonne durchlaufen ihre Entwicklung unter "Verbrennung" leichterer chemischer Elemente zu immer schwereren, bis in einer Folge von nuklearen Brennstufen aus Wasserstoff über Helium, Kohlenstoff, Sauerstoff und Silizium schließlich ein Kern aus Eisen im Sternzentrum entsteht. In diesem Stadium kann der Stern keine weitere Energie durch Kernfusion mehr gewinnen, weil Neutronen und Protonen in Eisenatomkernen am stärksten gebunden sind.
Da der Stern nun seine zentrale Energiequelle verliert, ist der Kollaps seines Eisenkerns unvermeidlich, sobald dessen Masse durch weiteres Siliziumbrennen in einer umgebenden Schale einen kritischen Grenzwert überschreitet. Innerhalb von Bruchteilen einer Sekunde vollzieht sich eine Implosion des stellaren Eisenkerns, die erst dann abrupt abgestoppt wird, wenn im Zentrum die Dichte von Atomkernen erreicht wird. In diesem Augenblick widersteht die Sternmaterie einer weiteren Kompression, denn die Neutronen und Protonen lassen sich wegen starker gegenseitiger Abstoßungskräfte nicht dichter packen. Der innere stellare Kern prallt daher zurück und erzeugt eine starke Stoßwelle, die sich in die weiterhin kollabierenden, äußeren Schichten des Eisenkerns ausbreitet.
Über 30 Jahre bestand die Hoffnung, dass mit immer weiter verbesserten Computermodellen bewiesen werden könnte, dass der Stoß aus dem Rückprall imstande ist, die Explosion des Sterns direkt einzuleiten. Das Gegenteil stellte sich jedoch heraus. Verbesserte Modelle zeigten, dass dramatische Energieverluste die Stoßwelle noch weit innerhalb des stellaren Eisenkerns zum Stehen bringen. Damit war klar, dass es einer Zufuhr frischer Energie bedarf, um den Stoß erneut zu beschleunigen und so schließlich die Explosion der äußeren Sternschichten auszulösen.
Bereits in den 1960er Jahren wurde (in einer fundamentalen Veröffentlichung von Stirling Colgate und Richard White) spekuliert, dass Neutrinos für diese Energiezufuhr verantwortlich sein könnten, denn der heiße Neutronenstern im Zentrum produziert unzählige solcher hochenergetischen Elementarteilchen. Weniger als ein Prozent dieser Neutrinos würde ausreichen, um eine gewaltige Supernova zu verursachen, wenn sie in der Materie hinter dem stehenden Stoß absorbiert werden können (siehe MPA Aktuelle Forschung 2001). Schon Mitte der 1980er Jahre wurde diese Möglichkeit durch die ersten, einigermaßen geeigneten numerischen Berechnungen von Jim Wilson und durch interpretative Arbeiten von Wilson und Hans Bethe gezeigt.
Allerdings steckten in diesen frühen Modellen noch sehr viele Annahmen und Näherungen, und die Modelle waren daher nicht sehr realistisch. Insbesondere wurde mit der Supernova 1987A klar, dass Sternexplosionen extrem asymmetrisch ablaufen und dass bereits in der frühesten Phase der Explosion nicht-radiale Plasmaströmungen eine wichtige Rolle gespielt haben müssen. Erste mehrdimensionale Computersimulationen ---damals meist in zwei Dimensionen, d.h. zur Einsparung von Rechenzeit unter der Annahme von Rotationssymmetrie um eine angenommene Achse--- konnten belegen, dass Konvektion und turbulente Materiebewegungen den Neutrinoheizmechansimus entscheidend unterstützen können und den Energieübertrag durch Neutrinos verstärken. Dies führt zu erfolgreichen Explosionen, auch wenn sphärisch symmetrische Modelle nicht explodieren (siehe MPA Presseerklärung 2009).
Die Natur besitzt jedoch drei Raumdimensionen, weshalb diese frühen, erfolgreichen Modelle als unrealistisch und nicht überzeugend kritisiert wurden. Tatsächlich ist nicht nur die künstliche Annahme einer Symmetrieachse problematisch, sondern es ist auch bekannt, dass sich turbulente Strömungen in zwei Dimensionen anders verhalten als in drei Dimensionen.
Aber erst in der allerjüngsten Gegenwart ist es durch die zunehmend schnelleren Supercomputer möglich geworden, Supernovaberechnungen ohne unnatürliche Symmetrieannahmen durchzuführen. Damit können die Simulationen wesentlich realistischer sein und die theoretische Modellierung von Supernovae nähert sich mit gewaltigen Schritten der Lösung des 50 Jahre alten Problems.
Die Supernova-Gruppe am Max-Planck-Institut für Astrophysik (MPA) spielt eine führende Rolle im weltweiten Wettrennen um die ersten erfolgreichen dreidimensionalen Simulationen. Wenn alle relevante Physik in den Modellen berücksichtigt wird, insbesondere was die hochkomplexen Wechselwirkungen der Neutrinos betrifft, bewegen sich solche Simulationen an der absoluten Grenze des aktuell auf den größten verfügbaren Superrechnern gerade noch Machbaren. Dem MPA-Team können momentan maximal 16.000 Prozessorkerne auf dem SuperMUC am Leibniz-Rechenzentrum (LRZ) in Garching (Abb. 1) und auf dem MareNostrum am Barcelona Supercomputing Center (BSC; Abb. 2) zur Verfügung gestellt werden, was der Leistungsfähigkeit etwa einer gleichen Zahl der schnellsten Heimcomputer entspricht. Selbst bei paralleler Nutzung dieser 16.000 Prozessorkerne dauert eine einzige Modellsimulation einer Supernova über eine Entwicklungszeit von etwa einer halben Sekunde immer noch ein halbes Jahr und verschlingt rund 50 Millionen Stunden Rechenzeit.
Dieser enorme Aufwand aber lohnt sich! Die Forschergruppe konnte jüngst eine erste erfolgreiche dreidimensionale Berechnung einer Supernovaexplosion für einen Stern mit 9,6-facher Masse der Sonne berichten (siehe MPA Aktuelle Forschung 2015; Film zur 3D Explosion eines Sterns mit 9,6-facher Masse der Sonne von Aaron Döring) und hat nun eine weitere dreidimensionale Simulation der Explosion eines Sterns mit 20-facher Sonnenmasse erfolgreich durchgeführt (Abbn. 3 und 4 mit Film). Diese Rechnungen basieren auf der im Augenblick fortschrittlichsten Beschreibung der entscheidenden Neutrinophysik in kollabierenden Sternen, weshalb die Ergebnisse einen wichtigen Meilenstein für die Supernovamodellierung bedeuten. Sie bestätigen im Rahmen der bekannten und im Supernovazentrum wichtigen Prozesse und innerhalb der momentanen Unsicherheiten dieser Physik die grundsätzliche Möglichkeit, dass Neutrinoheizen die Explosion massereicher Sterne auslöst. Wie bereits bei den früheren zweidimensionalen Modellen gesehen, unterstützen nichtradiale Strömungsvorgänge das Einsetzen der Explosion und prägen der expandierenden Materie Asymmetrien auf, die zu den später beobachtbaren Asymmetrien bei Supernovae führen.
Damit ist die Arbeit der Astrophysiker aber noch lange nicht erledigt. Weitere theoretische Modelle sind notwendig. Insbesondere muss die numerische Auflösung der Simulationen verbessert werden, was aber deutlich größere Computer und mehr Rechenzeit erfordern wird. Außerdem müssen Sterne mit anderen Massen untersucht werden. Eine endgültige Bestätigung, dass Neutrinoheizen tatsächlich die Ursache der Sternexplosionen ist, kann aber nur von Beobachtungen geliefert werden. Daher müssen die momentanen Computermodelle noch stärker mit beobachtbaren Phänomenen verknüpft werden. Große Hoffnungen ruhen auf einer möglichen Supernova in unser Milchstraße. Ein so nahes Ereignis würde die Erde mit rund 1030 Neutrinos überfluten, von denen viele Tausend, wenn nicht sogar Zehntausende, in großen unterirdischen Experimenten wie Super-Kamiokande in Japan und IceCube am Südpol eingefangen werden könnten. Diese Neutrinos (neben Gravitationswellen) werden einen fantastischen Blick ins Innern der Supernova ermöglichen. Weil sie direkt aus dem Zentrum der Explosion entweichen, werden sie Informationen über die Prozesse und den Materiezustand im Herz des sterbenden Sterns zu uns tragen.
Hans-Thomas Janka
Danksagungen:
Elena Erastova und Markus Rampp (Max Planck Computing and Data Facility (MPCDF)) wird für die Anfertigung der Bilder der Abbildungen 3 und 4 herzlich gedankt ebenso wie Aaron Döring für seine Arbeit an den Filmen der Supernovaexplosionen. Die Forschung wurde finanziell vom Europäischen Wissenschaftsrat durch das Projekt ERC-AdG No. 341157-COCO2CASA unterstützt. Rechenzeit stand durch die Europäische PRACE Initiative auf den Höchstleistungsrechnern SuperMUC (GCS@LRZ, Germany) und MareNostrum (BSC, Spanien) zur Verfügung. Die Auswertung der Simulationsdaten wurde auf dem IBM iDataPlex System hydra des Max Planck Computing and Data Facility (MPCDF) durchgeführt.