Wie Galaxien Schwarze Löcher kollidieren lassen
Die bahnbrechenden Entdeckungen von Gravitationswellen, die durch die Kollision von je zwei Schwarzen Löchern verursacht werden, haben eine spannende Frage aufgeworfen: Wie können Schwarze Löcher einander so nahekommen, dass sie verschmelzen können? Wissenschaftler des MPA zeigen, dass einige dieser verschmelzenden Schwarzen Löcher möglicherweise von massereichen Sternen stammen, die einander in extrem großen Abständen umkreisen – 1.000 bis 10.000 Mal der Abstand zwischen Erde und Sonne. Wenn diese Sterne ihr Leben beenden und Schwarze Löcher bilden, könnte die Gravitation der Galaxie, in der sie sich befinden, langsam ihre Umlaufbahn verformen und zu der Verschmelzung der beiden Schwarzen Löcher führen.
Ein großer Teil der Sterne ist nicht allein. Beobachtungen zeigen, dass, im Gegensatz zu unserer Sonne, viele von einem stellaren Begleiter umkreist werden und ein sogenanntes Binär- oder Doppelsternsystem bilden. Der Abstand, in dem diese Doppelsterne einander umkreisen, bestimmt maßgeblich ihre Entwicklung. Einerseits neigen Sterne auf sehr engen Umlaufbahnen dazu, sich gegenseitig Masse abzusaugen, was zu einer komplexen interaktiven Sternentwicklung führt. Für massereiche Sterne könnten diese Interaktionen zwei sich eng umkreisende Schwarze Löcher hinterlassen, die schließlich aufgrund des Energieverlustes durch die Emission von Gravitationswellen verschmelzen. Andererseits wurde bisher angenommen, dass sich Doppelsterne mit größeren Abständen, sogenannte weite Binärsysteme, weitestgehend unspektakulär wie isolierte Sterne entwickeln und Schwarze Löcher hinterlassen, die zu weit voneinander entfernt sind, um miteinander verschmelzen zu können.
In einer kürzlich veröffentlichten Studie, die in The Astrophysical Journal Letters erschienen ist, stellt eine Gruppe von Forschern unter der Leitung des MPA research fellow Jakob Stegmann dieses Paradigma der Binärphysik in Frage und zeigt, dass es nur zutrifft, solange die Binärsysteme isoliert betrachtet werden. In der Realität sind sie in eine galaktische Umgebung eingebettet. Dies führt dazu, dass weite Binärsysteme, die mehr als 1.000 Erden-Sonnen-Abstände voneinander getrennt sind, anfällig für Störungen durch die Gravitation ihrer Galaxie und Vorbeiflüge umliegender Sterne sind. Unter Berücksichtigung dieses galaktischen Einflusses zeigt die Studie, dass die Dynamik weiter Binärsysteme extreme Wechselwirkungen zwischen Sternen und kompakten Überresten herbeiführen kann.
Diese Wechselwirkungen sind eine Folge der extrem geringen Bindungsenergie, die sehr weite binäre Schwarze Löcher gerade noch zusammenhält. Diese schwache Bindung ermöglicht es der Schwerkraft der ganzen Galaxie langsam die Umlaufbahn zu verformen, auf der sich die beiden Schwarzen Löcher umkreisen, und sie immer weiter wie ein Gummi auseinanderzuziehen. Auf diesen stark elliptischen Umlaufbahnen bleiben die beiden Schwarzen Löcher zwar die meiste Zeit weit voneinander entfernt, fliegen aber einmal pro Umlauf sehr nah aneinander vorbei (siehe Animation). Dies führt zu einem kontra-intuitiven Ergebnis: Selbst wenn zwei Schwarze Löcher sich am Ende auf wenige Kilometer nähern, sodass sie verschmelzen können, könnten sie ihre Entwicklung dennoch mit einem großen Abstand von mehr als 1.000 Mal dem Abstand zwischen Erde und Sonne beginnen. Der Schlüssel hierfür liegt in der Elliptizität ihrer Umlaufbahn, die aufgrund des störenden Effekts der Gravitation der Galaxie langsam zunimmt.
Dieser Mechanismus, der zwei Schwarze Löcher näher zusammenbringt, könnte auch für die Entwicklung leichterer weiter Doppelsterne relevant sein. Vor wenigen Jahren haben Forscher am MPIA in Heidelberg nach weiten Binärsystemen in den Daten der ESA-geführten Mission Gaia gesucht. Überraschenderweise stellten sie fest, dass etwa zehn Prozent aller weniger massereichen Sterne einen entfernten stellaren Begleiter besitzen. Während derartige Systeme nicht massereich genug sind, um Schwarze Löcher zu bilden, zeigt die MPA-Studie, dass die Gravitation der Galaxie die Sterne zu einer frontalen Kollision treiben könnte. Diese Kollisionen würden zwar keine nachweisbare Gravitationswellenemission verursachen, könnten aber als energetische Ausbrüche, sogenannte Luminous Red Novae, sichtbar sein.
Die Ergebnisse dieser Studie stellen einen Fortschritt in der Untersuchung dar, wie unterschiedlich sich Sterne in Binärsystemen und ihre kompakten Überreste entwickeln können. Während sich frühere Arbeiten zu weiten Binärsystemen hauptsächlich darauf konzentrierten, entweder die Existenz eines entfernten Begleiters unserer Sonne (die sogenannte „Nemesis-Hypothese“) auszuschließen oder deren maximal mögliche Distanz zueinander zu verstehen, wurde relativ wenig Aufmerksamkeit darauf gerichtet, die Wechselwirkungen zwischen weiten binären Sternen zu untersuchen. Mit zukünftigen Datenveröffentlichungen von Gaia, die den Katalog weiter Doppelsterne in einem beispiellosen Tempo erweitern werden, macht die MPA-Studie einen wichtigen Schritt in Richtung eines Verständnisses ihrer Koevolution mit der Milchstraße. Die detaillierte Untersuchung ihrer Dynamik ermöglicht es uns zu verstehen, wie Systeme, die zuvor als ereignislos galten, tatsächlich zu den energetischsten Phänomenen im Universum führen könnten.