Was verraten uns großskalige Galaxienstrukturen über das Universum?
Die großräumige Verteilung von Galaxien liefert wichtige Hinweise über die Natur der Dunklen Materie, die Eigenschaften der Dunklen Energie und den Ursprung unseres Universums. Jedoch ist es eine beachtliche Herausforderung, diese Informationen mit hoher Genauigkeit aus den Beobachtungen abzuleiten. Forscher am MPA entwickeln einen neuartigen Analyseansatz, bei dem sie die Entwicklung kosmischer Strukturen über ihre gesamte Entstehungsgeschichte verfolgen. Dies ermöglicht einen besonders detaillierten Vergleich zwischen theoretischen Modellen und Beobachtungsdaten sowie die sehr präzise Messung wichtiger Parameter der Dunklen Materie und der Dunklen Energie.
Die räumliche Verteilung von Galaxien im Universum zeigt eine komplexe, netzartige Struktur mit großen Galaxienhaufen an den Knotenpunkten, die von riesigen Leerräumen durchsetzt ist. Kosmologen haben ein detailliertes Verständnis für die Entstehung dieser großskaligen kosmologischen Strukturen entwickelt. Während der Inflation, einer frühen Periode, in der sich das Universum besonders schnell ausdehnte, entstehen sehr kleine (im Bereich von 1 zu 100.000) Schwankungen in der kosmischen Energiedichte, die anschließend durch ihre gravitative Anziehung wachsen, während sich das Universum ausdehnt. In diesem Bild gibt es jedoch noch immer einige offene Fragen:
- Was ist die Dunkle Energie, die die Ausdehnung des Universums beschleunigt?
- Woraus besteht die Dunkle Materie, die bisher nur durch ihre gravitativen Wechselwirkungen beobachtet wurde?
- Welche physikalischen Prinzipien stecken hinter der Inflation?
Dunkle Materie ist etwa fünfmal häufiger als gewöhnliche, „sichtbare“ Materie. Die Allgemeine Relativitätstheorie erfordert, dass sichtbare und dunkle Materie die gleichen Gravitationskräfte erfahren, daher kann die Entwicklung von Schwankungen in der Dichte der Dunklen Materie sehr genau vorhergesagt werden. Diese Entwicklung hängt vom genauen Zusammenspiel zwischen Gravitation und der Ausdehnung des Universums ab. So liefern großskalige kosmologische Strukturen wichtige Hinweise auf die fundamentalen Fragen unseres Universums. Moderne Teleskope kartieren die Verteilung von Galaxien bis zu sehr großen Entfernungen. Doch diese Galaxien bilden nur die „Spitze des Eisbergs“, während der Großteil der Strukturen aus dunkler Materie besteht und unsichtbar bleibt.
Gibt es einen Weg, um aus den beobachteten Positionen von Galaxien auf die Verteilung der Dunklen Materie zu schließen? Können wir verstehen, wie die Strukturen, die wir heute sehen, entstanden sind? Und kann uns dies dabei helfen, die grundlegenden Fragen, die wir über unser Universum haben, besser zu beantworten? Die Antwort ist ja. Allerdings müssen hierfür einige Herausforderungen überwunden werden.
Zunächst folgen Galaxien nicht eins zu eins der Verteilung von Materie. Wir beobachten nur eine begrenzte Anzahl von ihnen, und Messunsicherheiten beeinflussen die Beobachtungen. Daher gibt es nicht eine einzige Materieverteilung, die die beobachteten Galaxien erklärt, sondern mehrere Möglichkeiten. Eine statistische Bayes-Analyse kann solche Unsicherheiten erfassen. Dazu generieren wir eine Vielzahl an plausiblen Materieverteilungen, bewerten ihre Übereinstimmung mit den Beobachtungen und berücksichtigen nur diejenigen mit dem höchsten Maß an Konsistenz.
Um die Beziehung zwischen Galaxien und der zugrundeliegenden Materiedichte zu beschreiben, verwenden wir eine sogenannte Effektive Feld-Theorie (EFT). Eine Reihe von freien Parametern in dieser Theorie machen unsere Ergebnisse unabhängig von den Details der Galaxienbildung auf kleinen Skalen, welche theoretisch noch nicht zur Genüge verstanden sind. Darüber hinaus liefert die Theorie eine „Likelihood“, die das Maß der Übereinstimmung zwischen einer vorgeschlagenen Materieverteilung und den beobachteten Galaxien quantifiziert. Da der Vergleich auf der Basis von Voxel (3D-Pixel) erfolgt, wird der Ansatz auch als Dichtefeld-Analyse bezeichnet.
Die zweite Herausforderung besteht darin, was eine plausible Materieverteilung ausmacht. Die Strukturen im heutigen Universum sind das Ergebnis einer komplexen dynamischen Entwicklung. Sie entstanden jedoch aus einer einfacheren Verteilung, deren statistische Eigenschaften gut verstanden sind. Daher können wir verschiedene Möglichkeiten für die ursprüngliche Dichte betrachten, ihre Entwicklung im Laufe der Zeit berechnen und diese Vorhersage mit der Beobachtung vergleichen. Wir wiederholen diesen Vorgang immer wieder, um jene Konfigurationen zu identifizieren, die die Daten am besten erklären, und um alle möglichen Lösungen zu erforschen.
Jede mögliche Realisierung der dreidimensionalen Anfangsbedingungen wird durch bis zu eine Million Parameter charakterisiert; dazu gibt es zu jeder Realisierung die vollständige Geschichte der Strukturbildung. Um diesen riesigen Bereich an Möglichkeiten effizient zu erkunden, haben wir einen numerischen Code namens LEFTfield entwickelt. Dieser ist stark parallelisiert, kann Gradienten berechnen und läuft üblicherweise in einem Rechenzentrum. Mit LEFTfield können wir plausible Anfangsbedingungen und ihre zeitliche Entwicklung in nur wenigen Sekunden berechnen. Abbildung 2 veranschaulicht das Ergebnis einer solchen Analyse für einen simulierten Datensatz, wobei jedes Einzelbild der Animation ein separates simuliertes Universum zeigt, das mit der Beobachtung kompatibel ist. Die Beobachtungen bestimmen die Verteilung der Materie auf großen Skalen am besten. Entsprechend zeigt die Animation wenig Variabilität für größere Strukturen, aber mehr Fluktuation in kleineren.
Wie kann diese Analyse die eingangs gestellten Fragen beantworten? Die Eigenschaften der Dunklen Materie und Dunklen Energie sind Teil unseres Rechenmodells für die Strukturbildung. Wir können diese Parameter verändern und beobachten, wie sie sich auf die Übereinstimmung zwischen Modell und Daten auswirken. Zum Beispiel führt eine Änderung in der Menge oder der Zeitentwicklung der Dunklen Energie zu verschiedenen Ausdehnungsgeschwindigkeiten für das Universum. Dies wiederum beeinflusst das Wachstum von Strukturen. Der Vergleich ermöglicht es uns daher, wichtige Parameter der Dunklen Materie und Dunklen Energie zu messen.
Die Dichtefeld-Analyse extrahiert alle verfügbaren Informationen aus der großräumigen Galaxienverteilung. Letztlich ist unser Ziel, dadurch eine deutlich genauere Messung der Dunklen Materie und der Dunklen Energie als mit bisherigen Methoden zu erreichen. Nach dem heutigen Stand der Technik werden die Daten zunächst komprimiert (man berechnet etwa die Varianz von Fluktuationen als Funktion der Skala) und in dieser Form mit den theoretischen Vorhersagen verglichen. Ein weiterer Vorteil des Ansatzes, der der gesamten Strukturentwicklung folgt, ist, dass auch beobachtungsbezogene und instrumentelle Effekte im Rechenmodell beschrieben werden können. So beeinflusst zum Beispiel die Eigenbewegung von Galaxien ihre beobachtete Entfernung oder Rotverschiebung. Dieser Effekt ermöglicht es sogar, zusätzliche Informationen aus den kosmologischen Strukturen zu gewinnen, da die Geschwindigkeit der Galaxien direkt mit ihrem Wachstum zusammenhängt.
Wir setzen die Entwicklung der Dichtefeld-Analyse fort, um sie auf die neuesten kosmologischen Datensätze anwenden zu können. Dadurch wollen wir die Dunkle Materie und Dunkle Energie besser verstehen. Kürzlich haben wir einen Vergleich verschiedener Ansätze durchgeführt, und diese Studie hat ergeben, dass die Dichtefeld-Analyse tatsächlich genauere Messungen liefert als etablierte Ansätze. Wir hoffen, diese spannenden Ergebnisse bald an dieser Stelle zu teilen.