Gravitationslinse nimmt Galaxie unter die Lupe
Einsteins Allgemeine Relativitätstheorie sagt voraus, dass große Massenkonzentrationen – beispielsweise eine Galaxie – Lichtstrahlen ablenken, die in der Nähe vorbeiziehen. Dieses Phänomen wird Gravitationslinseneffekt genannt. Wenn sich eine weit entfernte Galaxie (die Linse) genau zwischen uns und einem noch weiter entfernten Objekt (der Quelle) befindet, wird die Quelle verzerrt und vergrößert. Dabei entstehen mehrere Bilder der Quelle um die Linsengalaxie. Eine Gruppe am MPA und anderen Instituten hat mit Hilfe der Very Long Baseline Interferometry (VLBI) im Radiobereich ein Gravitationslinsensystem in hoher Auflösung untersucht. Dies offenbart kleinste Details in den gelinsten Bildern und bietet einen neuen Einblick in die Physik der Linsengalaxien.
Die genaue Form und Vergrößerung der Bilder eines Gravitationslinsensystems ermöglicht es uns, etwas darüber zu erfahren, wie die Masse in der Linsengalaxie verteilt ist. Wir erhalten damit Aufschluss über die Entstehung und Entwicklung der Galaxie. Beispielsweise können wir mithilfe der Gravitationslinse ermitteln, ob das Zentrum einer Linsengalaxie ausgedehnt oder konzentriert ist. Wir erfahren so etwas über die Aufheizung und die galaktischen Winde, die von Supernovae und aktiven galaktischen Kernen (AGN, supermassereiche schwarze Löcher, die interstellare Gaswolken anziehen und dabei auf relativistische Geschwindigkeiten beschleunigen) verursacht werden. Gravitationslinsen können auch offenbaren, wenn massearme Halos aus dunkler Materie vorhanden sind, die sich nur durch ihre Gravitationswirkung bemerkbar machen. Auf diese Weise können wir die Natur der dunklen Materie untersuchen.
Damit mithilfe von Beobachtungen der Gravitationslinsen diese physikalischen Phänomene entdeckt und entschlüsselt werden können, muss die Winkelauflösung der Beobachtung hoch genug sein. Diese bestimmt die Größe der Details, die beobachtet werden können. Bislang wurden die meisten Gravitationslinsensysteme mit dem Hubble-Weltraumteleskop beobachtet (mit ~120 Millibogensekunden Auflösung). Davon wurden einige mit W.M. Keck und adaptiver Optik (~70 mas) nachbeobachtet, und auch einige, wenn auch noch weniger, mit dem Atacama Large Millimeter Array (ALMA; ~25 mas). Diese Beobachtungen reichen aus, um einige sehr einfache Massenmodelle zu erstellen oder Halos aus dunkler Materie mit einer Größe von bis zu 100 Millionen Sonnenmassen zu entdecken. Sofern wir mit der Modellierung von Gravitationslinsen in den Bereich von Millibogensekunden vorstoßen können, steigert dies drastisch die Menge an astrophysikalischen Informationen, die wir aus Gravitationslinsenbeobachtungen extrahieren können. Derzeit ist die Very Long Baseline Interferometry (VLBI) das einzige Beobachtungsinstrument, das Details kleiner als 5 Millibogensekunden auflösen kann.
In dieser Arbeit stellen wir die erste Analyse eines Gravitationslinsensystems vor, das mit VLBI bei einer Auflösung von <5 Millibogensekunden beobachtet wurde, wobei sowohl ein detailliertes Modell für die Masse der Linsengalaxie als auch ein Bild der Quelle rekonstruiert wurden. Für die Analyse wurde eine fortschrittliche Pipeline für VLBI-Daten verwendet, die von unserer Gruppe am MPA entwickelt wurde. Diese Beobachtung des gelinsten Radiojets MG J0751+2716 zeigt extrem lange, dünne Bögen, die einen weiten Bereich von Positionen um die Linsengalaxie herum abdecken. Sie eignen sich daher perfekt dazu, die zugrunde liegende Gravitationslandschaft zu enthüllen. In der rekonstruierten Abbildung ist die Jet-Struktur der Quelle deutlich zu erkennen, wobei sich helle Punkte der Radioemission von der Wirtsgalaxie weg erstrecken.
Das Massenmodell der Linsengalaxie musste sehr komplex sein, um die Quelle eindeutig rekonstruieren zu können. Dabei stellten wir fest, dass die Masse in dieser Linse stark zum Zentrum hin konzentriert ist, was darauf hindeutet, dass die Rückkopplung von Supernovae und AGNs in dieser Galaxie relativ schwach ist – ein Ergebnis, das auch in anderen Gravitationslinsengalaxien gefunden wurde. Daneben mussten wir zusätzliche Parameter (Multipolstörungen im Winkelbereich) einbeziehen, um zu berücksichtigen, dass die Linsengalaxie nicht perfekt elliptisch ist (wie bei der Linsenmodellierung oft angenommen wird), sowie Parameter, die die Gezeitenkräfte von nahe gelegenen Galaxien beschreiben, die an der Linsengalaxie ziehen und sie verformen.
Obwohl unser Modell die Massenverteilung in der Linsengalaxie nur auf Skalen größer als 1-2 Kiloparsec abbildet, rekonstruiert es die Beobachtungen sehr genau. Dies war unerwartet für eine hochauflösende Beobachtung, die so feine Details in den gelinsten Bögen sichtbar macht. Dies ist ein faszinierendes Ergebnis und motiviert unser Hauptziel bei der Untersuchung von mit VLBI beobachteten Gravitationslinsen, nämlich die Suche nach massearmen Halos aus dunkler Materie, deren Vorhandensein oder Nichtvorhandensein dabei helfen wird, Teilchenmodelle dunkler Materie zu bestätigen oder auszuschließen. Unsere Arbeit zeigt, wie VLBI-Beobachtungen eine Schlüsselrolle bei der Erforschung des starken Gravitationslinseneffekts auf der Größenskala von Galaxien spielen können, da sie Strukturen in der Gravitationslandschaft aufdecken können, die mit den derzeitigen optischen Teleskopen nicht zugänglich sind.