KI gegen Supercomputer, Runde 1: Galaxiensimulation geht an KI
In der ersten Studie dieser Art haben Forscher des RIKEN Center for Interdisciplinary Theoretical and Mathematical Sciences (iTHEMS) in Japan gemeinsam mit Kollegen des Max-Planck-Instituts für Astrophysik (MPA) und des Flatiron Institute maschinelles Lernen – eine Form der künstlichen Intelligenz – eingesetzt. Damit konnten sie die Rechenzeit für die Simulation der Entwicklung von Galaxien in Verbindung mit Supernova-Explosionen erheblich verkürzen. Dieser Ansatz könnte dabei helfen, die Entstehung unserer eigenen Galaxie und insbesondere die für das Leben in der Milchstraße wesentlichen Elemente zu verstehen.
Das Verständnis der Galaxienentstehung ist ein zentrales Thema der Astrophysik. Zwar wissen wir, dass energiereiche Ereignisse wie Supernovae die Entwicklung von Galaxien beeinflussen können, jedoch ist es nicht möglich, diesen Prozess direkt am Nachthimmel zu beobachten. Stattdessen nutzen Forscher numerische Simulationen, die auf großen Datenmengen basieren, die mit Teleskopen und anderen Instrumenten zur Vermessung des Alls gesammelt wurden. In diesen Simulationen müssen die Schwerkraft und die Hydrodynamik sowie andere komplexe Aspekte der astrophysikalischen Thermochemie berücksichtigt werden.
Darüber hinaus müssen sie eine hohe zeitliche Auflösung aufweisen, das heißt, der Zeitraum zwischen den einzelnen 3D-Schnappschüssen der sich entwickelnden Galaxie muss kurz genug sein, um kritische Ereignisse zu erfassen. Um beispielsweise die Anfangsphase der Ausdehnung der Supernova-Hülle zu erfassen, ist ein Zeitrahmen von nur wenigen hundert Jahren erforderlich. Das ist 1.000 Mal kürzer als in typischen Simulationen des interstellaren Raums. Tatsächlich benötigt ein gängiger Supercomputer ein bis zwei Jahre, um eine Simulation einer relativ kleinen Galaxie mit der erforderlichen zeitlichen Auflösung durchzuführen.
Simulierte Galaxienentwicklung mit und ohne KI
Die Überwindung dieses Engpasses war das Hauptziel der neuen Studie. Durch die Integration von KI in ihr datengesteuertes Modell konnte die Forschungsgruppe die Ergebnisse einer zuvor modellierten Zwerggalaxie erreichen – und das wesentlich schneller. „Wenn wir unser KI-Modell verwenden, ist die Simulation etwa viermal schneller als eine standardmäßige numerische Simulation“, sagt Keiya Hirashima vom RIKEN. „Dies entspricht einer Reduzierung der Rechenzeit um mehrere Monate bis zu einem halben Jahr. Entscheidend ist, dass unsere KI-gestützte Simulation die für die Erfassung der Galaxienentwicklung und der Materiezyklen wichtigen Dynamiken, darunter die Sternentstehung und Galaxienausflüsse, reproduzieren konnte.“
Wie die meisten Modelle für maschinelles Lernen wurde auch das neue Modell der Forscher:innen anhand eines Datensatzes trainiert und konnte anschließend Ergebnisse für einen neuen Datensatz vorhersagen. In diesem Fall umfasste das Modell ein programmiertes neuronales Netzwerk, das anhand von 300 Simulationen einer isolierten Supernova in einer Molekülwolke mit einer Masse von einer Million Sonnen trainiert wurde. Nach dem Training konnte das Modell die Dichte, Temperatur und die dreidimensionalen Geschwindigkeiten des Gases 100.000 Jahre nach einer Supernova-Explosion vorhersagen. Im Vergleich zu direkten numerischen Simulationen, wie sie beispielsweise von Supercomputern durchgeführt werden, lieferte das neue Modell ähnliche Strukturen und Abläufe der Sternentstehung, benötigte jedoch viermal weniger Zeit für die Berechnung. Das Labor nutzt das neue Framework derzeit, um eine Simulation einer Galaxie in der Größe der Milchstraße durchzuführen.
„Während bei der Verwendung von Modellen des maschinellen Lernens und der künstlichen Intelligenz zur Analyse einer Vielzahl von Datensätzen in verschiedenen Bereichen der Physik enorme Fortschritte erzielt wurden, ist ihr Einsatz in der astrophysikalischen Gemeinschaft bisher begrenzt und beschränkt sich hauptsächlich auf Studien zu Turbulenzen”, betont Ulrich Steinwandel vom MPA. „Wir zeigen zum ersten Mal, dass KI genutzt werden kann, um ein multiskaliges physikalisches Problem mit mehreren Rückkopplungskanälen zu beschleunigen. Darüber hinaus kann die Methodik die globalen Eigenschaften der Sternentstehung und des Ausflusses simulierter Galaxien sowie die detaillierte Phasenstruktur dieser mehrphasigen Strömungen erfassen.“