Tests von Gravitationstheorien mit der großräumigen Galaxienverteilung

1. Februar 2017
Warum sich das Universum derzeit beschleunigt ausdehnt, bleibt eines der großen ungelösten Rätsel der Physik. Während dies ein Hinweis auf die geheimnisvolle "Dunkle Energie" sein könnte, sehen andere in dieser rätselhaften Beobachtung einen möglichen Hinweis auf die Unzulänglichkeit der Einstein’schen Allgemeinen Relativitätstheorie, das Gesetz der Schwerkraft auf sehr großen, kosmologischen Skalen zu beschreiben. Diese Hypothese zu testen, deren Zutreffen erhebliche Auswirkungen auf unser Verständnis der Grundlagenphysik haben würde, erfordert spezielle Studien, wie sie derzeit von Forschern am MPA und MPE durchgeführt werden. Hierzu schufen die Autoren simulierte Universen mit alternativen Beschreibungen der Schwerkraft, um damit zu testen, inwieweit die gegenwärtigen Beobachtungsmethoden, mit denen man die Rate des Strukturwachstums im Universum bestimmt, ihre Gültigkeit behalten. Damit konnten sie den Spielraum einschränken, in dem das Universum aufgrund der aktuellen Daten von Einsteins Vorhersage abweichen könnte. Die gegenwärtigen Beobachtungsmethoden zeigen keine Anzeichen für einen systematischen Fehler, wenn sie mit den simulierten Universen mit modifizierter Schwerkraft getestet werden – ein beruhigendes Ergebnis.

Dunkle Energie und modifizierte Schwerkraft

Vor fast zwanzig Jahren beobachteten die Astronomen, dass Licht, das von bestimmten, weit entfernten Supernova-Explosionen ausgesandt wird, schwächer ist als erwartet. Diese zusätzliche Abschwächung lieferte den ersten Beweis für die beschleunigte Expansion des Universums. Schon kurz nach der Veröffentlichung dieser Beobachtungsdaten war klar, dass zu ihrer Erklärung eine neue Physik notwendig sein würde. Ein möglicher Ausweg aus dem Problem besteht darin, den Einstein‘schen Feldgleichungen der allgemeinen Relativitätstheorie ein neues Element hinzuzufügen: exotische Formen der "dunklen Energie" oder eine kosmologische Konstante, die als Quelle die beschleunigte Expansion antreibt. Allerdings ist die Relativitätstheorie über Distanzen, die das gesamte beobachtbare Universum umfassen, nicht annähernd so gut getestet wie auf der Erde oder in unserem Sonnensystem; die erhöhte Beschleunigung könnte deshalb auch auf eine andere Art von Schwerkraft auf sehr großen Skalen zurückzuführen sein. Dadurch angeregt, wurden einige neuere Studien über modifizierte Gravitationsmodelle und ihre kosmologischen Vorhersagen durchgeführt; dies ist heute einer der aktivsten Bereiche in der Kosmologie.

Schwerkraftmodelle mit „Branen“

Eines der beliebtesten modifizierten Schwerkraftmodelle ist das der "Branen". In diesen Theorien ist die vierdimensionale Raumzeit, in der wir leben (3 Raum + 1 Zeitdimension), nur eine Scheibe oder "Brane" in einer höher-dimensionalen Raumzeit. Ein konkretes Beispiel hierfür ist das Dvali-Gabadadze-Porrati-Modell (DGP), in dem wir auf einer vierdimensionalen Brane in einer größeren fünfdimensionalen Raumzeit leben.

Abb. 1 zeigt eine Skizze, die die Idee hinter diesen Modellen veranschaulicht: Materie und Strahlung sind auf die Brane beschränkt; die Gravitationswechselwirkung kann aber aus der Brane in die höhere Dimension "durchsickern". Dieses Durchsickern verändert die Schwerkraft auf der Brane, so dass Abweichungen von der allgemeinen Relativitätstheorie auftreten können. Hierbei muss beachtet werden, dass die Modifikation der Relativitätstheorie nur auf Größenskalen erfolgen darf, die weitaus größer sind als das Sonnensystem. Die Theorie würde sonst sofort durch die sehr genauen Untersuchungen in der Umgebung unserer Sonne ausgeschlossen werden, die die Gültigkeit der Allgemeinen Relativitätstheorie sehr genau bestätigen.

Messung des Strukturwachstums

Kosmologen definieren die Wachstumsrate der Struktur als eine Größe, die beschreibt, wie schnell große Materieklumpen im Universum verschmelzen. Je stärker die Gravitationswechselwirkung, umso schneller ist die Wachstumsrate. Präzise und genaue Bestimmungen der Wachstumsrate eigenen sich daher sehr gut für eine Überprüfung der Schwerkraft.

Die Wachstumsrate kann allerdings nicht direkt mit einem Teleskop am Himmel gemessen werden. Ganz im Gegenteil: man kann sie nur durch komplexe und ausgefeilte Modelle der beobachteten Muster und Häufungen von Galaxien auf großen Skalen bestimmen. Das bedeutet, wenn die Modelle der Galaxienverteilung fehlerhaft oder unvollständig sind, weichen die daraus resultierenden Messungen der Wachstumsrate von dem wahren Wert ab. Folglich würden wir falsche Schlüsse über die alternativen Gravitationstheorien ziehen. Um diesen Bedenken zu begegnen, werden die Modelle mit simulierten Beobachtungen auf der Grundlage von N-Körper-Simulationen der Strukturbildung im Universum verglichen und validiert. Auf diese Weise können wir die Gültigkeit der gesamten Methode zur Messung der Wachstumsrate in einem (numerischen) Kontrollexperiment testen, in dem wir die tatsächliche Antwort kennen.

Eine große Schwäche früherer Validierungstests bestand darin, dass sie nur Simulationen auf Basis der Allgemeinen Relativitätstheorie verwendeten. Die Gültigkeit der Methode in der Anwendung auf andere Theorien der Schwerkraft blieb damit mit Unsicherheit behaftet. Forscher am MPA und MPE haben nun erstmals eine gründliche Validierung dieser Analysemethoden mit simulierten Beobachtungen durchgeführt, die auf N-Körper-Simulationen von DGP-Branen-Modellen beruhen. Die verschiedenen simulierten DGP-Branen-Modelle weichen dabei unterschiedlich stark von der Allgemeinen Relativitätstheorie ab. Die simulierten Galaxienkataloge wurden so konstruiert, dass sie eine gute Beschreibung der Galaxien im BOSS-Survey lieferten, der bisher größten Himmelsdurchmusterung für Galaxien in Bezug auf die Anzahl der Galaxien und das untersuchte Volumen des Universums.

Strenge Einschränkungen der DGP-Schwerkraft

Zuerst stellten die Wissenschaftler sicher, dass die Modellierungsschritte zur Bestimmung der Wachstumsrate aus den Beobachtungsdaten auch im Fall der DGP-Schwerkraft gültig blieben. Anschließend benutzten die Autoren die neuesten Daten aus dem BOSS-Survey, um das DGP-Branen-Modell einzuschränken (streng genommen handelt es sich um einen bestimmten Vertreter dieser Klasse von Modellen). Dieses Modell besteht die Schwerkrafttests in unserem Sonnensystem, aber führt auch zu einer beschleunigten Expansion des Universums, wie von den Supernova-Beobachtungen und mehreren anderen unabhängigen Beobachtungen gefordert.

Der deutlichste Hinweis auf eine modifizierte Gravitation wird somit von der Wachstumsrate der Strukturbildung erwartet. Abb. 2 zeigt, wie die Daten der Wachstumsraten das DGP-Modell einschränken können. Die Wachstumsrate wird als Funktion der kosmischen Zeit für mehrere Werte der sogenannten "Crossover-Skala" dargestellt, einem Parameter, der im Prinzip die Größenskala bestimmt, ab der die Schwerkraft die Brane verlassen kann. Kleinere Werte der Crossover-Skala führen zu einer stärkeren Schwerkraft, was die theoretische Vorhersage von den tatsächlichen Daten weiter entfernt, während größere Werte das DGP-Modell näher an die Allgemeine Relativitätstheorie bringen - und zu einer besseren Übereinstimmung mit den Messungen von BOSS.

Eine der wichtigsten Schlussfolgerungen – und ein beruhigendes Ergebnis – dieser Arbeit besteht darin, dass aktuelle Beobachtungsmethoden keine Hinweise für eine systematische Abweichung zeigen, wenn sie mit simulierten Universen mit DGP-Schwerkraft getestet werden. Damit gelang ein schon lange nötiger Test der Gültigkeit aktueller Beobachtungsanalysen, der sicher stellt, dass aktuelle Daten über die Wachstumsrate dazu verwendet werden können das DGP-Modell (sowie eine Fülle anderer Gravitationstheorien mit ähnlicher Phänomenologie) zu testen.

 

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