Das Hydrangea Projekt: hochaufgelöste hydrodynamische Simulationen von Galaxienhaufen

1. Januar 2017
Warum sehen Galaxien in riesigen “Galaxienhaufen”-Strukturen anders aus als typische, isolierte Galaxien wie zum Beispiel unsere Milchstraße? Um diese Frage zu beantworten, erstellte ein internationales Astronomenteam unter Leitung des MPA die “Hydrangea” Simulationen, 24 hochaufgelöste kosmologisch-hydrodynamische Computersimulationen großer Galaxienhaufen. Insgesamt beherbergen diese über 20.000 Galaxien in einer für solch große Simulationen bisher unerreichten Detailtreue. Astrophysikern steht damit nun ein vielversprechendes Werkzeug zur Verfügung, um die Entstehung von Galaxien in einer der extremsten Umgebungen zu verstehen, die das Universum bereithält. 

Galaxienhaufen sind riesige Ansammlungen von bis zu mehreren tausend Galaxien, eingebettet in diffuse Halos aus extrem heißem Gas und unsichtbarer Dunkler Materie (siehe Abb. 1). Durch Beobachtungen mit Teleskopen wissen wir, dass diese extremen Umgebungen Spuren in den dortigen Galaxien hinterlassen. Die Milchstraße und andere “normale” Galaxien in relativ isolierten Gegenden, haben typischerweise eine Scheibe, die durch das Licht massereicher junger Sterne blau erscheint. Galaxien in Galaxienhaufen hingegen sind oft eher rot oder gelb - was auf Sterne hindeutet, die viele Milliarden Jahre alt sind. Statt in einer Scheibe sind deren Sterne meist in einer unstrukturierten “elliptischen” Struktur angeordnet. Obwohl diese Unterschiede schon seit vielen Jahrzehnten bekannt sind, konnte man bisher noch keinen Grund dafür finden und damit bleibt auch unklar, wie die Entstehung von Galaxien durch ihre Umgebung beeinflusst wird.

Das Problem besteht darin, dass sich Galaxien über sehr lange Zeiträume – viele Millionen und sogar Milliarden von Jahren – bilden und entwickeln. Astrophysiker können daher diesen Prozess nicht direkt am Teleskop verfolgen sondern müssen zwangsläufig auf Computersimulationen zurückgreifen, um das Geheimnis der Galaxienentstehung quasi im Zeitraffer lösen zu können. Ausgehend von den durch Beobachtungen des kosmischen Mikrowellenhintergrundes gut messbaren Dichtefluktuationen im frühen Universum (siehe die Planck CMB Ergebnisse), berechnen solche Simulationen die Strukturentstehung im Universum unter dem Einfluss der Schwerkraft, der Gasdynamik, und astrophysikalischer Prozesse wie Sternentstehung und Supernova-Explosionen.

In der neuesten Generation solcher Simulationen - wie dem “EAGLE” Projekt, an dem auch das MPA beteiligt war - führen diese Prozesse zur Entstehung von Galaxien, die denen im echten Universum verblüffend ähneln, sowohl in Bezug auf ihr Aussehen als auch in quantitativen Vergleichen z.B. der Sternenmasse, Größe, und des Gasinhaltes (siehe hier). Damit stellen diese Simulationen im Prinzip ein ideales Werkzeug dar, um die bei der Galaxienentstehung wirkenden Prozesse herauszufinden. Galaxienhaufen füllen jedoch nur einen winzigen Teil des Volumens unseres Universums, und kommen daher in der EAGLE Simulation kaum vor.

Um diese Lücke zu füllen, hat ein internationales Wissenschaftler-Team unter Leitung von Yannick Bahé am MPA und mit Beteiligung von Astrophysikern in Deutschland, Großbritannien, den Niederlanden, und Spanien die “Hydrangea” Simulationen erstellt. Benannt sind sie nach dem wissenschaftlichen Namen für die Hortensie, deren Farbe sich ähnlich wie die der Galaxien je nach Umgebung zwischen blau und rot ändert. Diese Simulationen nutzen die sogenannte “zoom-in” Technik, bei der die Rechenleistung auf eine verhältnismäßig kleine Region um einen Galaxienhaufen (ca. 100 Millionen Lichtjahre im Durchmesser) innerhalb eines viele tausend Mal größeren Simulationsvolumens konzentriert werden kann.

Selbst mit diesem Trick stellten die Simulationen jedoch einen gewaltigen Rechenaufwand dar. Der Grund dafür liegt in den riesigen Skalenunterschieden zwischen einem Galaxienhaufen und den mehr als tausend Mal kleineren Galaxien (siehe Abb. 2). Dadurch erforderten die Simulationen mehrere Milliarden Testteilchen, deren gravitative und hydrodynamische Wechselwirkungen über fast 14 Milliarden Jahre hinweg berechnet werden musste.

Insgesamt benötigten die Simulationen daher über 40 Millionen CPU-Stunden Rechenzeit, entsprechend einer Laufzeit von über 4500 Jahren auf einem einzelnen Rechenkern – oder die gesamte Zeit seit dem Bau der Pyramiden von Gizeh. Der Zugang zum Bundeshöchstleistungsrechner “HazelHen” am HLRS (Universität Stuttgart) und dem Supercomputer “Hydra” am Rechenzentrum Garching war daher unverzichtbar, wo die Simulationen zeitweise auf über 10.000 Rechenkernen gleichzeitig laufen konnten. Einer der simulierten Galaxienhaufen ist in Abb. 2 dargestellt. Das Video (unten) zeigt seine Entstehung im Laufe von 13,5 Milliarden Jahren aus einer anfangs fast strukturlosen “Wolke”.

Insgesamt enthalten die Hydrangea-Simulationen mehr als 20.000 Galaxien. Als die Forscher diese mit den bestehenden EAGLE-Simulationen verglichen, machten sie eine überraschende Entdeckung: im Durchschnitt sind Galaxien selbst in der weitläufigen Umgebung von Galaxienhaufen massereicher als in typischen Regionen des Universums. Zumindest teilweise erklärt sich dieser Unterschied dadurch, dass die Halos aus dunkler Materie (in die alle Galaxien eingebettet sind), in der Umgebung von Galaxienhaufen früher entstehen: dadurch konzentrieren diese einen größeren Teil des in ihnen enthaltenen Gases in ihre Mitte, wo es in Sterne umgewandelt werden kann – dies führt zu einer höheren Gesamtmasse an Sternen. Dies ist eine sehr wichtige Vorhersage der Simulationen, weil Astronomen in der Regel die Sternenmasse von Galaxien als Indikator verwenden, um “ähnliche” Galaxien in verschiedenen Umgebungen zu vergleichen. Wenn die Sternenmasse nun selbst systematisch mit der Umgebung variiert, muss dieser Effekt sorgfältig berücksichtigt werden, um falsche Rückschlüsse über den Einfluss der Galaxienumgebung zu vermeiden.    

Die vollständige Analyse der Simulationen wird noch einige Jahre in Anspruch nehmen. Dabei werden die Astrophysiker einerseits die Simulationsergebnisse mit Beobachtungen vergleichen, um die Vorhersagen des zugrundeliegenden Modells genau zu testen. Darüber hinaus werden die Simulationsdaten einen grundlegend neuen Einblick in die Frage ermöglichen, auf welche Weise die besondere Umgebung in Galaxienhaufen die Entstehung von Galaxien beeinflusst und damit die eingangs beschriebenen Unterschiede hervorruft. Damit werden wir einen großen Schritt näher an das Ziel kommen, zu verstehen wie die Vielfalt an Strukturen im heutigen Universum entstanden ist.

Ein simulierter Galaxienhaufen

Dieses Video zeigt die Entstehung des in Abb. 2 gezeigten Galaxienhaufens über einen Zeitraum von 13,5 Milliarden Jahren. Ausgehend von einer fast homogenen Verteilung wenige hundert Millionen Jahre nach dem Urknall, kollabiert diese zunächst zu einem schwammartigen Netz. Aus diesem kristallisieren sich dann individuelle “Ur-Haufen” heraus (sichtbar als gelb-weiße Klumpen), die dann nach und nach zu einem großen Haufen verschmelzen. Durch die dabei entstehenden Schockwellen heizt sich das Gas immer weiter auf. Ebenfalls zu sehen sind gewaltige Ausbrüche von heißem Gas aus den Ur-Haufen, die von riesigen schwarzen Löchern in deren Zentren angetrieben werden.

Danksagung: Die in diesem Bericht vorgestellten Simulationen wurden zum Teil auf dem Bundeshöchstleistungsrechner “HazelHen” am Höchstleistungsrechenzentrum Stuttgart (HLRS) durchgeführt, unter Programm-Nr. GCS-HYDA / ID 44067 und finanziert im Rahmen des “Hydrangea” Großprojekts durch das Gauss Center for Supercomputing. Weitere Rechenzeit für das Projekt wurde bereitgestellt durch das Max Planck Rechenzentrum Garching (MPCDF) und am DiRAC System “Cosma5” an der Universität Durham/UK.

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