Die Verteilung des atomaren Wasserstoffes in simulierten Galaxien

1. November 2015
Bei simulierten Galaxien in der kosmologisch-hydrodynamischen “EAGLE” Computersimulation stimmt die Verteilung des atomaren Wasserstoffs in bisher unerreichter Genauigkeit mit Beobachtungen überein. Durch diesen Erfolg kann EAGLE den Astrophysikern als wichtiges Hilfsmittel dienen, um zum Beispiel die Herkunft des atomaren Wasserstoffes in beobachteten Galaxien besser zu verstehen. Eine Unstimmigkeit in EAGLE ist allerdings, dass einige simulierte Galaxien zu große Löcher in ihren Wasserstoffscheiben aufweisen – in zukünftigen Simulationen müssen die Modelle für Supernovaexplosionen und die interstellare Materie daher noch weiter verbessert werden.

Atomarer Wasserstoff (abgekürzt mit dem Symbol “H I”) ist ein wichtiger Bestandteil von Galaxien: unter anderem speist sich aus diesem Gasreservoir die sogenannte “Interstellare Materie”, aus der wiederum Sterne entstehen können. Obwohl H I mit optischen Teleskopen unsichtbar ist, haben Astronomen mit Hilfe von Radioteleskopen in den letzten Jahrzehnten immer genauere Beobachtungen dieser Gaskomponente machen können. Dabei stellten sie zum Beispiel fest, dass Galaxien mit gleicher Sternenmasse ganz unterschiedlich viel atomares Gas enthalten können: ihr H I-Gehalt unterscheidet sich um mehrere Größenordnungen. Spezielle Radio-Interferometer, bei denen viele einzelne Radioteleskope zu einem virtuellen Super-Teleskop zusammengeschaltet werden, lieferten hochauflösende Bilder, die zeigen, wie der atomare Wasserstoff innerhalb der Galaxien verteilt ist (siehe Beispiel in Abb. 1).

Rätselhaft bleibt aber weiterhin die Frage, warum manche Galaxien so viel mehr H I beinhalten als andere. ErstaunlicH Ist auch, dass diese ‘normalen’ und ‘H I-reichen’ Galaxien trotzdem gemeinsame Relationen befolgen, wie eine Forschergruppe unter Leitung des MPA vor kurzem im Rahmen des “Bluedisk” Projektes herausgefunden hat (siehe Highlight Mai 2013 und März 2014). Eine direkte Beobachtung, wie Galaxien ihren Vorrat an H I aufbauen, ist nicht möglich, da sich Galaxien über einen Zeitraum von vielen Millionen Jahren verändern. Stattdessen müssen Astronomen versuchen, diese Frage mit Hilfe von Modellen und Simulationen zu beantworten.

Vor kurzem wurde die “EAGLE”-Simulation fertiggestellt, die viele Eigenschaften von Galaxien wie ihre Sternenmasse und ihre Größe in bisher unerreichter Genauigkeit nachbildet (siehe Abb. 2). Ein Team unter Leitung des MPA-Wissenschaftlers Yannick Bahe hat nun genau untersucht, in welchem Umfang der atomare Wasserstoff in diesen simulierten Galaxien mit Beobachtungen übereinstimmt; ein wichtiger Test für die Simulation, der auch darüber entscheidet, ob EAGLE glaubwürdige Hinweise auf die Entstehung des H I-Reservoirs in echten Galaxien geben kann.

Für diesen Vergleich mussten die Wissenschaftler die Simulation zunächst nachbearbeiten, um herauszufinden, wieviel Wasserstoff in den einzelnen Teilchen der Simulation tatsächlicH In atomarer Form (nicht ionisiert oder als Molekül) vorliegt. Daraus konnten sie dann die Gesamtmasse an H I in den simulierten Galaxien berechnen und mit Beobachtungen aus dem “GASS”-Projekt vergleichen. Zur Freude der Forscher stimmen die Simulationsergebnisse gut mit den Beobachtungen überein: die in der Simulation verwendeten Modelle beschreiben die bei der Galaxienentstehung wirkenden Prozesse offenbar recht gut.

Nach diesem ersten Erfolg testeten die Wissenschaftler die EAGLE-Simulation genauer, indem sie nicht nur die Gesamtmasse an atomarem Wasserstoff, sondern auch dessen Verteilung innerhalb der Galaxien mit Beobachtungen verglichen. Wie bereits oben erwähnt, konnte das “Bluedisk”-Projekt zeigen, dass diese Verteilung überraschenderweise nicht von der Gesamtmasse an H I in der Galaxie abhängt, wenn man die unterschiedlichen Größen der H I-Scheiben berücksichtigt (sogenannte “Selbstähnlichkeit”). Diese Beobachtungen wurden nun mit der EAGLE-Simulation nachgestellt, um einen genauen Vergleich zwischen Modell und Wirklichkeit zu ermöglichen. Wie Abb. 3 zeigt, ist auch diese Übereinstimmung – wie schon bei der H I-Gesamtmasse – unerwartet gut: EAGLE reproduziert sowohl die Selbstähnlichkeit zwischen ‘normalen’ und ‘H I-reichen’ Galaxien als auch die detaillierte Form des Dichteprofils, zumindest in den äußeren Bereichen der simulierten Galaxien.

In der Zentralregion hingegen enthalten die EAGLE-Galaxien zu wenig atomaren Wasserstoff. Um diese Unstimmigkeit näher zu untersuchen, inspizierten die Wissenschaftler über 2000 Bilder der simulierten Galaxien und fanden so den Grund: viele der simulierten Galaxien enthalten “Löcher” in ihren Wasserstoff-Scheiben, die um ein Vielfaches grösser sind als in beobachteten Galaxien (siehe Abb. 4). Nachdem alle simulierten Galaxien aussortiert wurden, die diese großen Löcher zeigen, stimmten die Dichteprofile aucH Im Galaxienzentrum sehr gut mit den Beobachtungen überein.

Die EAGLE-Simulationen geben also – abgesehen von den Löchern im Galaxienzentrum – ein ziemlich realistisches Abbild des atomaren Wasserstoffs in echten Galaxien. Warum aber enthalten manche EAGLE-Galaxien diese zu großen Löcher? Auch wenn die Wissenschaftler darauf noch keine eindeutige Antwort haben, ist es sehr wahrscheinlich, dass die Art und Weise, wie Supernovaexplosionen in EAGLE modelliert werden, eine große Rolle spielt. Dieser kritische Abschnitt bei der Galaxienentstehung bereitet Astrophysikern bis heute Kopfzerbrechen: Um solche Explosionen wirklich selbstkonsistent in Galaxiensimulationen einzubinden, müsste die Auflösung um viele Größenordnungen verbessert werden. Dies wird aber aufgrund der limitierten Größe selbst der besten Supercomputer auf lange Zeit hinaus unmöglich sein (siehe auch Highlight August 2015). EAGLE muss sich daher mit einem stark vereinfachten Modell für den Effekt dieser Explosionen begnügen, welches zwar viele Eigenschaften der Galaxien – wie etwa deren Größe – korrekt nachbildet, aber eben trotzdem merkbare Artefakte im simulierten Wasserstoffgas hinterlässt. Eine weitere Vereinfachung ist die Modellierung der dichten interstellaren Materie, da auch hier die Auflösung (noch) nicht für vollkommen selbstkonsistente Berechnungen reicht, sofern die Simulation gleichzeitig repräsentative Regionen des Universums nachbilden soll.

Eine wichtige Herausforderung für Astrophysiker ist es daher, die verwendeten Simulationsprogramme und -modelle so zu optimieren, dass – gemeinsam mit stetig leistungsfähigeren Supercomputern – eine direkte Modellierung der interstellaren Materie erreicht werden kann. In Kombination mit verbesserten Supernovamodellen werden diese künftigen Simulationen – so die Hoffnung der Wissenschaftler – Galaxien produzieren, die der Wirklichkeit (noch) besser entsprechen als in EAGLE. Die jetzige Arbeit zeigt aber auch, dass bereits EAGLE wertvolle Hinweise auf den Ursprung des atomaren Wasserstoffes in Galaxien geben kann. In einer Folgestudie wird die Entstehung der simulierten Galaxien daher nun genau unter die Lupe genommen um herauszufinden wie Galaxien atomaren Wasserstoff ansammeln und warum manche so viel mehr davon enthalten als andere.

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