Wie man mit Röntgenstrahlen von Flares des Schwarzen Lochs molekulare Wolken durchleuchtet

1. September 2017
Das Zentrum der Milchstraße ist ein ganz besonderer Ort, der viele exotische Objekte beherbergt, wie das supermassereiche Schwarze Loch Sagittarius A* und riesige molekulare Wolken. Einige dieser Wolken sind trotz ihrer extremen Kälte Quellen von energiereichen Photonen. Man geht davon aus, dass die Wolken diese Photonen nicht selbst produzieren sondern Röntgenstrahlung von einer externen Quelle streuen. Obwohl Sgr A* derzeit nur schwach im Röntgenlicht strahlt, gilt es als Hauptverursacher dieser Strahlung, da es in den letzten hundert Jahren einige kurze, aber intensive Ausbrüche – sogenannte „Flares“ – zeigte. Durch die Zeitverzögerung, die durch die Lichtausbreitung von Sgr A* zu den Wolken und dann zu uns entsteht, können die Wissenschaftler die Vergangenheit von Sgr A* untersuchen. Gleichzeitig dienen diese Flares als extrem leistungsfähige Sonden für die Eigenschaften des molekularen Gases. So kann insbesondere die komplette 3D-Struktur der molekularen Wolken und deren Dichteverteilung auf kleinen Skalen rekonstruiert werden.

Obwohl das supermassereiche Schwarze Loch Sgr A* (mit 4 Millionen Mal der Masse der Sonne) im Zentrum unserer Galaxie derzeit sehr schwach leuchtet, gibt es Hinweise darauf, dass es vor nicht allzu langer Zeit stark aufflackerte. So liefern insbesondere die Reflexion der Röntgenemission von Sgr A* an den umgebenden molekularen Wolken Beweise für derartige Flares.

Bei der Rekonstruktion dieser Historie gibt es zwei Effekte, die berücksichtigt werden müssen. Erstens hängt die reflektierte Emission sowohl von der Intensität der Beleuchtung als auch von der Dichte des Gases ab. Zweitens beträgt die Zeitverzögerung während der Lichtausbreitung von der Primärquelle (d.h. Sgr A*) zum Reflektor (d.h. einer Molekülwolke) und dann vom Reflektor zum Beobachter Hunderte von Jahren.

Daraus kann die Geschichte der Aktivität von Sgr A* rekonstruiert werden – vorausgesetzt die relativen Positionen der Quelle und des Reflektors sind mit hinreichender Genauigkeit bekannt. Informell wird dies auch als Röntgenarchäologie bezeichnet (siehe z. B. Röntgenstrahlen-Archäologie des Milchstraßenzentrums). Leider sind aber die Entfernungen entlang der Sichtlinie nur ungenau bekannt; man muss also nach zusätzlichen Möglichkeiten suchen, um die Entartung aufzuheben, die mit einfachen Argumenten auf Basis der Zeitverzögerung entsteht.  

Eine Reihe von Arbeiten hat kürzlich gezeigt, dass die Analyse der räumlichen und zeitlichen Variationen der reflektierten Emission diese Entartung aufheben kann. In der Tat zeigen Daten der Weltraumteleskope Chandra und XMM-Newton über mehr als 15 Jahre, dass die reflektierte Röntgenemission auf Zeitskalen von Jahren und auf räumlichen Skalen von weniger als einem Parsec variiert (siehe Abb. 2).

Die beobachtete Variabilität impliziert, dass der ursprüngliche Flare selbst kürzer als einige Jahre gewesen sein muss. In diesem Sinne kann man die statistischen Eigenschaften der Variabilität in Zeit und Raum genauer untersuchen, die eng miteinander verwandt sein sollten. Bei kurzen Flares, spiegeln die Variationen im Raum tatsächlich einfach Dichtefluktuationen in einer dünnen Schicht des reflektierenden Mediums wider, die auf die Bildebene projiziert werden (Abb. 1). Andererseits ergeben sich die Variationen in der Zeit (an einer gegebenen Himmelsposition) aus ähnlichen Dichtefluktuationen, die nun aber entlang der Sichtlinie, d. h. mit leicht unterschiedlichen Zeitverzögerungen, abgetastet werden. Sofern die statistischen Eigenschaften des zugrunde liegenden Dichtefeldes auf kleinen Skalen isotrop sind, gibt es eine einfache Transformation, die die beiden Variabilitätsmuster verbindet. Die Parameter dieser Transformation werden durch die relativen 3D-Positionen der Primärquelle und des Reflektors bestimmt.

Vergleicht man nun also die Variabilität des Röntgenflusses in Zeit und Raum, so passen diese Muster zueinander, wenn man annimmt, dass sich die Lichtfront entlang der Sichtlinie mit 0,7-facher Lichtgeschwindigkeit ausbreitet. Mit diesem Wert sind sofort auch die Position der Wolke in Bezug auf Sgr A* und das Alter des Flares mit etwa 110 Jahren festgelegt. Wahrscheinlich dauerte der Flare weniger als ein Jahr und wird nun von einer etwa 30 Parsec von Sgr A* entfernten molekularen Wolke, die als "Brückenkomplex" bekannt ist, reflektiert.

Mit Strahlungsdaten derselben Region in verschiedenen Moleküllinien kann die mittlere Dichte des reflektierenden Gases abgeschätzt werden, und daraus wiederum kann der integrierte Röntgenfluss des Flares abgeleitet werden. Eine solche Analyse deutet darauf hin, dass der Flare durch einen Planeten entstanden sein könnte, der von den Gezeitenkräften des Schwarzen Lochs zerstört wurde, oder durch einen Stern, der teilweise zerstört wurde, nachdem er unvorsichtig genug war, dem supermassereichen Schwarzen Loch zu nahe zu kommen.

Wenn man das Alter des Ausbruchs kennt, ist es einfach, die dreidimensionale Dichteverteilung des Molekülgases zu rekonstruieren (siehe Abb. 3). Bisher kann mit den Beobachtungsdaten aus 15 Jahren nur eine dünne Scheibe (ca. 3,5 Parsec) rekonstruiert werden. Das ist aber sicher nicht das Ende der Geschichte, denn der molekulare Komplex, der im Augenblick hell leuchtet, wird am Ende verblassen, nachdem die Beleuchtungsfront ihn vollständig durchlaufen hat. Gleichzeitig könnten andere molekulare Wolken in der zentralen molekularen Zone ins Rampenlicht geraten, wobei "Röntgen-Echos" eines einzigen Flares möglicherweise über mehrere hundert Jahre beobachtet werden können, entsprechende der Zeit, die das Licht zum Durchqueren der gesamten zentralen molekularen Zone (CMZ) benötigt. Ein Film, der die mögliche Entwicklung der CMZ-Röntgenkarte in den nächsten 500 Jahren veranschaulicht, ist unten gezeigt.

Flare beleuchtet die zentrale molekulare Zone

Computersimulation: Die Röntgen-Echos eines Flares, der von Sgr A*, dem supermassereichen Schwarzen Loch im Zentrum der Milchstraße, ausgeht, läuft durch die zentrale molekulare Zone und beleuchtet im Laufe mehrerer hundert Jahre verschiedene Molekülwolken.

 

Interessanterweise profitieren nicht nur Studien der Aktivität von Sgr A* von den Beobachtungen dieser "Röntgen-Echos". Die Eigenschaften des Dichtefeldes des Gases können im Detail untersucht werden, ohne dass sie durch Projektionseffekte oder durch die chemische Häufigkeit einer bestimmten molekularen Spezies behindert werden, wie dies üblicherweise bei Daten von molekularen Emissionslinien der Fall ist.

Im Szenario der kurzen Flares ist der beleuchtete Bereich nur eine dünne Scheibe an molekularem Gas und die Intensität der reflektierten Röntgenemission ist einfach proportional zur Zahlendichte des Gases (im Grenzfall eines optisch dünnen Gases). Misst man die Wahrscheinlichkeitsverteilung der Gasdichte auf diese Weise, so scheint die Funktion gut durch eine Lognormalverteilung beschrieben zu werden (siehe Abb. 4) – im Einklang mit theoretischen und numerischen Vorhersagen für Überschall-Turbulenzen, die die Struktur des molekularen Gases auf den untersuchten Skalen prägen sollten.

Allerdings könnte eine Anzahl von Effekten eine solche Form der Verteilungsfunktion nachahmen, wie eine hohe Opazität selbst für hochenergetische Röntgenstrahlen oder statistische Fehler durch geringe Zählraten am unteren Ende. Diese Fragen können teilweise mit ausreichend tiefen Chandra-Beobachtungen untersucht werden, ergänzt durch realistische Simulationen der molekularen Wolken. Grundsätzlich erlaubt es die Winkelauflösung von Chandra, Skalen bis zu 0,05 pc zu untersuchen, wo die Selbstgravitation dominant wird und der Sternbildungsprozess effektiv in Gang kommt.

Das durchleuchten der molekularen Wolken mit Röntgenstrahlen könnte somit helfen, das langjährige Problem der zu geringen Sternentstehungseffizienz in der zentralen molekularen Zone zu lösen. Die nächste Generation von Röntgen-Observatorien, die mit Mikrokalorimetern ausgestattet sind, wie ATHENA und Lynx, können auch das Geschwindigkeitsfeld im reflektierenden Gas untersuchen. Damit könnte dann das Bild des turbulenten Innenlebens des galaktischen Zentrums vollständig rekonstruiert werden. Ebenso wichtig sind zukünftige Beobachtungen mit Röntgen-Polarimetern, die durch ihre Messung des Polarisationswinkels einen belastbaren Beweis dafür liefern dürften, dass die Quelle der Röntgenstrahlung tatsächlich Sgr A* ist, während der Polarisationsgrad eine unabhängige Möglichkeit zur Messung der Position der Wolke entlang der Sichtlinie darstellt.  

 

 

E.Churazov, I.Khabibullin, R.Sunyaev

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