"Gravitationsrauschen" beeinträchtigt die Positionsbestimmung entfernter Quellen
Eigenbewegung, Winkelgröße und trigonometrische Parallaxe (sichtbare Verschiebungen) von astronomischen Objekten wie Sternen sind für viele astrophysikalische Studien grundlegende Parameter. Diese Größen werden durch astrometrische Techniken bestimmt und dafür wird ein Koordinatensystem benötigt, um beispielsweise die Position oder die Radialgeschwindigkeit eines Sterns zu berechnen. Alle derzeitigen Koordinatensysteme, insbesondere auch die International Celestial Reference Frame (ICRF), basieren auf den Koordinaten von mehreren hundert "definierenden" extragalaktischen Quellen. Quasare und ferne Galaxien sind ideale Referenzpunkte für die Bestimmung des himmlischen Bezugsrahmens, da ihre Winkelbewegung sehr klein ist, etwa zehn Mikrobogensekunden (weniger als die Größe einer 1-Cent-Münze auf dem Mond).
Die astrophysikalische Instrumentierung entwickelt sich rasch weiter und es wird erwartet, dass die Genauigkeit der radiointerferometrischen Beobachtungen bald 1 Mikrobogensekunde erreichen wird und optische Beobachtungen etwa 10 Mikrobogensekunden. Doch bei dieser Genauigkeit stehen die Forscher vor einer neuen Herausforderung, die die Beobachtungen beeinträchtigt: die allgemeine Relativitätstheorie und insbesondere die Ablenkung eines Lichtstrahls im Gravitationsfeld.
Wenn ein Lichtstrahl von einer entfernten Quelle nahe an einem massereichen Objekt vorbeigeht, wird er durch dessen Schwerkraft leicht abgelenkt. Diese Abweichung ist typischerweise sehr klein, trifft der Strahl aber auf mehrere Objekte auf seinem Weg, so können die addierten Abweichungen signifikant werden. Zusätzlich bewegen sich die Objekte und damit ändert sich auch der Ablenkungswinkel mit der Zeit und die Quellkoordinaten „wackeln“ um ihren wahren Wert. Dieser „Wackeleffekt“ tritt bei allen entfernten Quellen auf, auch solchen, die als Referenzpunkte für verschiedene Koordinatensysteme verwendet werden. Bei dem Versuch, die Genauigkeit von Koordinatenreferenzsystemen zu verbessern, werden wir in naher Zukunft eine Grenze erreichen, die auch durch bessere Detektoren nicht überschritten werden kann. Tatsächlich macht es das "Gravitationsrauschen" unmöglich, die Genauigkeit eines Koordinatensystems über ein bestimmtes Niveau zu erhöhen.
Die Forschergruppe hat nun versucht, die Wirkung des Gravitationsrauschens auf die Beobachtungen abzuschätzen. Die Studie beruht auf umfangreichen numerischen Berechnungen von Dr. Natalia Lyskova am MPA. Hierfür entwickelte sie einen leistungsstarken Parallelcode und erstellte zweidimensionale "Abweichungskarten" des gesamten Himmels auf der Grundlage moderner Modelle der galaktischen Materieverteilung (siehe Abbildung). Die Berechnungen zeigen, dass für eine sinnvolle Beobachtungszeit von etwa zehn Jahren die Verschiebung der Position der Quellen zwischen 3 Mikrobogensekunden bei hohen galaktischen Breiten bis zu mehreren Dutzend Mikrobogensekunden in der Nähe des Galaktischen Zentrums variiert.
Wenn also die Genauigkeit der absoluten Astrometrie den Bereich von Mikrobogensekunden erreicht, muss der "Wackeleffekt" der Referenzquellenkoordinaten aufgrund des nicht-stationären Gravitationsfeldes der Galaxis berücksichtigt werden. Aber die Wissenschaftler haben auch eine gute Nachricht: Bei der Untersuchung der Eigenschaften dieses Gravitationsrauschens konnten sie zeigen, dass der "Wackeleffekt" der Koordinaten durch mathematische Methoden teilweise kompensiert werden kann.
Hinweis: Das Team umfasst Forscher vom Astro Space Center of P.N. Lebedev Physical Institute (Russia), dem Space Research Institute of the RAS (Russia), dem Moscow Institute of Physics and Technology (MIPT), und dem Max-Planck-Institut für Astrophysik.