Die Lösung des systematischen Messfehlers bei der hydrostatischen Massenmethode für Galaxienhaufen

1. Oktober 2015

Immer neue Beobachtungen von Galaxienhaufen bieten großartige Möglichkeiten die Natur der Dunklen Energie zu erforschen. Gleichzeitig stellen sie aber auch große Herausforderungen an die Wissenschaftler. Das "hydrostatic mass bias"-Problem, das zu einem systematischen Fehler bei der Abschätzung der Masse von Galaxienhaufen führt, ist dabei eine der größten Einschränkungen für präzise Kosmologie mit Galaxienhaufen. Jetzt haben Forscher am MPA eine Methode entwickelt, um diesen Fehler zu korrigieren.

Die dunkle Energie ist die dominierende Energiekomponente im heutigen Universum, aber ihre physikalische Natur ist weiterhin unbekannt. Sie hinterläßt einzigartige Signaturen im Universum: sie beschleunigt die Expansion des Universums und verlangsamt das Wachstum von Strukturen. Als die größten gravitativ gebundenen Strukturen im Universum sind Galaxienhaufen ein empfindlicher Indikator für diese Einflüsse. Die Forscher können somit die Eigenschaften der Dunklen Energie einschränken, indem sie die Häufigkeit von Galaxienhaufen in Abhängigkeit ihrer Masse zu verschiedenen kosmischen Zeiten bestimmen.

Eine korrekte und genaue Messung der Massen von Galaxienhaufen ist von entscheidender Bedeutung für den Erfolg dieser Methode. Obwohl Galaxienhaufen ihren Namen von Beobachtungen der Galaxien im optischen Licht erhalten haben, nutzt man für die genaueste Massenbestimmungsmethode, die sogenannte hydrostatische" Methode, Beobachtungen im Röntgenlicht. Röntgenbilder von Galaxienhaufen zeigen das diffuse heiße Gas in Galaxienhaufen, das 90% der gewöhnlichen Materie ausmacht (siehe simulierte Röntgenbilder in Abb. 1). Trotz seiner hohen Temperatur - was hohe thermische Geschwindigkeiten bedeutet - ist dieses heiße Gas tief im Innern der Galaxienhaufen gefangen. Grund dafür ist die enorme Anziehungskraft der dunklen Materie-Komponente, die ca. 85% der Gesamtmasse eines Haufens ausmacht. (Gewöhnliche Materie trägt nur etwa 15% zur Masse bei.)

Die hydrostatische Massenschätzmethode setzt voraus, dass das heiße Gas im hydrostatischen Gleichgewicht ist, d.h. sein thermischer Druck gleicht die Anziehungskraft der Gravitation aus. Das heiße Gas in einem Galaxienhaufen ist allerdings nie vollständig thermalisiert, weil ihm kontinuierlich Masse zugeführt wird. Eventuell noch vorhandene Bewegungen des einfallenden Gases führen zu einer nicht-thermischen Druckkomponente, außerdem können auch Magnetfelder und kosmische Strahlung hierzu beitragen. Die Annahme eines hydrostatischen Gleichgewichts bricht damit zusammen. Außerdem bewirken diese Beiträge, dass die Massenschätzung mit einem systematischen Fehler von typischerweise 5-30% behaftet ist.

Dieses "hydrostatic mass bias"-Problem erfordert eine bessere Beschreibung der zugrunde liegenden Physik in Galaxienhaufen. Forscher am MPA haben daher ein neues analytisches Modell für den nicht-thermischen Druck entwickelt, das das Wachstum und die Dissipation der Zufallsbewegungen im heißen Gas beschreibt. Fügt man diesen Beitrag dem hydrostatischen Gleichgewicht hinzu, so können die Massenabschätzungen korrigiert werden, was durch modernste kosmologische Hydrodynamik-Simulationen überprüft wurde (siehe Abb. 2), bei denen die zufälligen Bewegungen der dominierende Beitrag zum systematischen Fehler waren. Bemerkenswerterweise funktioniert dieses Korrekturverfahren für Galaxienhaufen mit verschiedenen dynamischen Zuständen (horizontale Achse bei Abb. 2).

Durch diese Korrektur kann das hydrostatische Massenschätzverfahren nun auch auf dynamisch gestörte Galaxienhaufen angewendet werden, sofern räumlich gut aufgelöste Beobachtungen verfügbar sind. Mit den Fortschritten, die derzeit bei der Beobachtung des Sunyaev-Zeldovich-Effektes (SZ) gemacht werden, der direkt den thermischen Druck des heißen Gases sondiert, sind räumlich gut aufgelöste Daten viel leichter zu erhalten; die Forscher sind nicht mehr auf zeitraubende Röntgentemperaturmessungen angewiesen. Bereits in den letzten Jahren haben der Planck-Satellit, das South-Pole-Telescope und das Atacama-Cosmology-Telescope über ihr SZ-Signal mehr als tausend Galaxienhaufen nachgewiesen, wobei die meisten dynamisch gestört sind. Einige dieser Daten haben bereits eine gute räumliche Auflösung.

Allerdings werden noch viel mehr Galaxienhaufen ohne direkt ortsaufgelöste Daten erfasst werden. Das neu entwickelte Verfahren eignet sich aber auch für diese Haufen. So wird zum Beispiel die eROSITA-Himmelsdurchmusterung die Röntgenstrahlung von mehr als 50.000 Galaxienhaufen und deren Vorläufern messen. Die meisten werden räumlich nicht gut aufgelöst sein. Die Massen für diese Objekte werden dann durch Skalierungsrelationen zwischen der Masse und räumlich gemittelten Beobachtungsgrößen bestimmt, wie beispielsweise der mittleren Röntgenleuchtkraft, der Temperatur oder einer Kombination daraus. Die Korrektur des "hydrostatic mass bias" wird zu einer genaueren Kalibrierung dieser Skalierungsrelationen führen und es den Wissenschaftlern somit erlauben, die große Zahl von Galaxienhaufen besser zu nutzen, um die Natur der Dunklen Energie zu erforschen.

Weitere interessante Beiträge

Zur Redakteursansicht