Eine neue Methode zur Bestimmung der Geschwindigkeit des Gases in Galaxienhaufen aus Röntgenbildern

1. März 2015

Röntgenbeobachtungen liefern detaillierte Informationen über die Dichte und Temperatur des heißen Gases in Galaxienhaufen. Eine weitere wichtige Größe, die auch gemessen werden muss, ist die Gasgeschwindigkeit. Während die derzeitigen Röntgen-Observatorien nicht über die erforderliche Energieauflösung verfügen, um die Geschwindigkeiten direkt zu messen, werden zukünftige Observatorien wie ASTRO-H und ATHENA genau dieses Problem lösen. MPA-Wissenschaftler haben nun in einem internationalen Team gezeigt, dass das Leistungsspektrum des Geschwindigkeitsfeldes schon jetzt direkt aus Röntgenaufnahmen von relaxierten Haufen bestimmt werden kann. Numerische Simulationen bestätigen diese einfache theoretische Idee und eröffnen so eine neue Möglichkeit die Gasgeschwindigkeiten mit bereits vorhandenen Röntgendaten zu sondieren.

Galaxienhaufen sind die größten gravitativ gebundenen Strukturen im Universum. Heißes Gas (mit Temperaturen von 10 bis 100 Millionen Kelvin) füllt ihr Gravitationspotential und strahlt im Röntgenbereich, so dass die Haufen ein leichtes Ziel für Röntgenobservatorien im Erdorbit darstellen. Sowohl die Dichte als auch die Temperatur des Gases in Galaxienhaufen wird heute routinemäßig mit Röntgendaten gemessen; andererseits ist es notorisch schwierig, die turbulente Bewegung des Gases direkt über die Dopplerverschiebung der emittierten Röntgenlinien zu messen. Da die Informationen über die turbulente Gasgeschwindigkeit sich stark auf die Massenbestimmung von Haufen und die Erkenntnisse über die Mikrophysik des Plasmas haben, werden neue Ansätze entwickelt, um die Gasgeschwindigkeiten indirekt mit Hilfe der vorhandenen Röntgendaten zu messen. Einer dieser Ansätze ist die Analyse von kleinen Schwankungen in den Röntgenbildern, die im Folgenden beschrieben wird.

In einem relaxierten Haufen ist das Gas annähernd im hydrostatischen Gleichgewicht, d.h. alle thermodynamischen Eigenschaften sind entlang von Oberflächen mit gleichem Gravitationspotential ausgerichtet, so dass die Röntgenbilder recht glatt und rund aussehen (siehe Abb.1). Diese geschichtete und stabile Atmosphäre des Haufengases ist der Atmosphäre der Erde oder Wasser in den Ozeanen sehr ähnlich, wo sich kaltes und dichtes Material aufgrund der kombinierten Wirkung der Schwerkraft und Auftrieb meist unterhalb von wärmerem und leichterem Material befindet. Langsame Störungen solcher Atmosphären, die sich mit Geschwindigkeiten unterhalb der Schallgeschwindigkeit ausbreiten, können daher als eine Kombination von inneren (Schwerkraft-)Wellen dargestellt werden, ganz ähnlich wie Wellen im Meer (unteres Bild in Abb. 1). In den Ozeanen gibt es eine einfache Relation: je größer die Amplitude der Wellen, umso höher die Geschwindigkeit des Wassers. Gilt dies auch für Gas in Galaxienhaufen? Sowohl die theoretische Analyse als auch numerische Simulationen haben gezeigt, dass dies tatsächlich der Fall ist.

Die Hauptidee besteht darin, dass das Gas auf großen Skalen gestört wird und dass dies zu einer Kaskade von Wellen führt.Diese Wellen erzeugen Störungen in der Gasdichte, die in Röntgenbildern als kleine Schwankungen der Oberflächenhelligkeit in Bezug auf ein global glattes Modell sichtbar werden. Die Analyse zeigt, dass eine einfache lineare Beziehung zwischen den Gasgeschwindigkeiten und Dichtestörungen besteht. Wir stellen außerdem fest, dass diese Relation über einen weiten Skalenbereich gültig bleibt: auf großen Skalen, wo Auftriebseffekte dominieren (interne Wellen), genauso wie auf kleinen Skalen, wo sich in der Regel isotrope, turbulente Kaskaden entwickeln. Auf diesen kleinen Skalen, wirkt die Entropie des Gases als passiver Skalar für die Advektion des Geschwindigkeitsfeldes und machte die Bewegung des Gases sichtbar im Röntgenbild.

Aufgrund dieser Argumentation kann man somit erwarten, dass in relaxierten Galaxienhaufen (also Haufen, die nur leicht gestört sind) das Leistungsspektrum des Geschwindigkeitsfeldes einfach aus dem Leistungsspektrum der Dichteschwankungen wiedergewonnen werden kann. Letzteres kann problemlos aus Röntgenbildern abgeschätzt werden.

Numerische Simulationen (kosmologische Simulationen der Haufen­bildung und rein hydrodynamische Simulationen mit Turbulenzen) bestätigen diese Schlussfolgerung, und eröffnen eine interessante neue Möglichkeit, das Leistungsspektrum der Gasdichte stellvertretend für das Leistungsspektrum der Geschwindigkeit in relaxierten Haufen zu verwenden.

Sobald die Gasgeschwindigkeiten mit zukünftigen Röntgen­observatorien direkt gemessen werden können, wird es möglich sein, aus dieser Analyse weitere Informationen zu gewinnen und nach Unterschieden zwischen den Leistungsspektren für Dichte und Geschwindigkeit zu suchen. Starke Abweichungen der zwei Leistungsspektren vom universellen Verhalten, wie oben beschrieben, können dann dazu verwendet werden, um physikalische Effekte wie beispielsweise die Leitfähigkeit oder die Viskosität im Gas einzuschränken.

Eugene Churazov (MPA), Massimo Gaspari (MPA), Irina Zhuravleva (Stanford), Alex Schekochihin (Oxford), Rashid Sunyaev (MPA)

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