Ein neuer kosmischer Maßstab: Messung der Hubble-Konstante mit Typ-II-Supernovae
Die Expansionsrate des Universums, ausgedrückt durch die Hubble-Konstante (H₀), ist nach wie vor eine der meistdiskutierten Größen in der Kosmologie. Messungen, die auf nahen Objekten basieren, ergeben einen höheren Wert als solche, die aus Beobachtungen des frühen Universums abgeleitet werden - eine Diskrepanz, die als „Hubble-Spannung“ bekannt ist. Forschende des Max-Planck-Instituts für Astrophysik und ihre Kooperationspartner haben nun eine neue, unabhängige Bestimmung von H₀ anhand von Typ-II-Supernovae präsentiert. Indem sie das Licht dieser explodierenden Sterne mit fortschrittlichen Strahlungstransport-Techniken modellierten, konnten sie die Entfernungen direkt messen, ohne auf die traditionelle Entfernungsleiter zurückgreifen zu müssen. Der resultierende H₀-Wert stimmt mit anderen lokalen Messungen überein und trägt zur wachsenden Zahl von Hinweisen auf die Hubble-Spannung bei - eine wichtige Kontrolle und ein vielversprechender Weg zur Lösung dieses kosmischen Rätsels.
Eines der größten Mysterien der modernen Kosmologie ist die anhaltende Diskrepanz in den Messungen der Hubble-Konstante (H₀) zwischen Bestimmungen basierend auf dem lokalen Universum und dem frühen Universum, die als „Hubble-Spannung“ bekannt ist. Da H₀ die aktuelle Expansionsrate des Universums beschreibt, ist sie eine lokale Größe und kann nur mit Hilfe von Objekten in unserer kosmischen Umgebung direkt gemessen werden. Im Gegensatz dazu messen Methoden, die auf dem frühen Universum basieren, wie die Analyse des kosmischen Mikrowellenhintergrunds (CMB), H₀ nicht direkt. Stattdessen wird der Wert durch die Annahme eines kosmologischen Modells abgeleitet, um von den Bedingungen vor 13 Milliarden Jahren auf die heutige Zeit zu schließen. Die Tatsache, dass diese beiden Ansätze zu widersprüchlichen Werten führen - lokale Entfernungsmessungen ergeben einen höheren H₀-Wert als Methoden für das frühe Universum - deutet darauf hin, dass unser kosmologisches Standardmodell möglicherweise unvollständig ist und bislang unbekannte Physik im Spiel sein könnte.

Die Bilder zeigen die Wirtsgalaxien der zehn Supernovae, wobei die Explosionsorte durch rote Stern-Symbole markiert sind. Die Bilder sind nach ihrer Rotverschiebung sortiert und spiegeln damit die wachsende Entfernung der Supernovae von der Erde wider.
Ein Team am Max-Planck-Institut für Astrophysik (MPA) hat zusammen mit Kollegen eine unabhängige Methode zur Messung von H₀ mit Hilfe von Supernovae vom Typ II (SNe II) entwickelt. Im Gegensatz zu herkömmlichen Ansätzen basiert diese Methode nicht auf der kosmischen Entfernungsleiter und bietet damit eine wertvolle, systematisch unabhängige Überprüfung bisheriger Messungen. Ihre Ergebnisse liefern eine neue, hochpräzise Messung von H₀ und bereichern die Debatte um die Expansionsrate des Universums..
Die Bestimmung der Hubble-Konstante erfordert genaue Entfernungsmessungen zu astronomischen Objekten mit unterschiedlichen Rotverschiebungen. Die am weitesten verbreitete Technik, die kosmische Entfernungsleiter, beruht auf mehreren, miteinander verknüpften Schritten: Entfernungen zu nahen Objekten (z.B. Cepheiden) werden zur Kalibrierung von weiterreichenden Methoden verwendet, wie z.B. Supernovae vom Typ Ia (SNe Ia), die dann als Standardkerzen zur Messung der Entfernungen zu weit entfernten Galaxien dienen.
Die Abhängigkeit von mehreren Schritten führt jedoch zu möglichen systematischen Unsicherheiten, und verschiedene Teams kommen zu leicht unterschiedlichen Ergebnissen. Eine direkte Messung auf der Grundlage bekannter physikalischer Gesetze bietet einen wertvollen ergänzenden Ansatz, da sie von anderen Systematiken beeinflusst wird und nicht von empirischen Kalibrierungen abhängig ist. Genau hier bieten Typ-II-Supernovae eine spannende Alternative.
Supernovae vom Typ II entstehen, wenn massereiche, wasserstoffreiche Sterne am Ende ihres Lebens explodieren. Ihre Leuchtkraft hängt zwar von Faktoren wie Temperatur, Expansionsgeschwindigkeit und chemischer Zusammensetzung ab, lässt sich aber mit Hilfe von Strahlungstransport-Modellen genau vorhersagen. So können die Forscher ihre intrinsische Leuchtkraft bestimmen und sie unabhängig von empirischen Kalibrierungsmethoden als Entfernungsindikatoren verwenden.

Die oberen Abbildungsteile zeigen zwei Beispiele für Spektralanpassungen, mit denen die Entfernungen zu den Supernovae bestimmt werden. Durch den Vergleich beobachteter Spektren (schwarz) mit Modellvorhersagen (farbig) können Forschende wichtige physikalische Eigenschaften extrahieren und auf die intrinsische Leuchtkraft schließen, was eine direkte Entfernungsmessung ermöglicht.
Der untere Abbildungsteil zeigt ein Hubble-Diagramm, in dem die gemessenen Leuchtkraftentfernungen der Supernovae gegen ihre Rotverschiebungen aufgetragen sind. Die einzelnen Datenpunkte entsprechen jeweils einer spektroskopischen Beobachtung, sodass für jede Supernova mehrere Messungen vorliegen können. Die gestrichelte schwarze Linie stellt die beste Anpassung zwischen Entfernung und Rotverschiebung dar, deren Steigung durch die Hubble-Konstante bestimmt wird. Die grau schattierten Bereiche zeigen die Unsicherheiten für diese Anpassung (68 % und 95 % Konfidenzintervalle). Die beste Schätzung für die Hubble-Konstante und ihr 68 %-Konfidenzintervall beträgt H₀ = 74,9 ± 1,9 km/s/Mpc.
Ein entscheidender Schritt in diesem Prozess ist die Identifikation des am besten geeigneten Modells für jede beobachtete Supernova. Wichtige physikalische Eigenschaften hinterlassen charakteristische Spuren im Supernova-Spektrum: Die Temperatur beeinflusst das Gesamtkontinuum, die Expansionsgeschwindigkeit bestimmt durch Dopplerverbreiterung die Breite der Spektrallinien und die chemische Zusammensetzung bestimmt die Stärke spezifischer Absorptions- und Emissionsmerkmale. Durch den systematischen Vergleich der beobachteten Spektren mit simulierten Spektren aus Strahlungstransport-Modellen können die Forscher das Modell finden, das die physikalischen Bedingungen der Supernova am genauesten beschreibt. Mit einem solchen Modell lässt sich die intrinsische Leuchtkraft - und damit die Entfernung - präzise bestimmen.
Um diesen Prozess effizient zu gestalten, verwendete das Team einen spektralen Emulator, ein fortschrittliches Programm für maschinelles Lernen, das auf vorab berechneten Simulationen basiert. Anstatt zeitaufwändige Strahlungstransport-Berechnungen für jede einzelne Supernova durchzuführen, interpoliert der Emulator schnell zwischen den Modellen und ermöglicht so eine schnelle und genaue Anpassung an das beobachtete Spektrum.
Das Forschungsteam hat seinen spektralen Modellierungsansatz auf eine Stichprobe von zehn Typ-II-Supernovae mit Rotverschiebungen zwischen 0,01 und 0,04 angewandt und dabei öffentlich zugängliche Daten verwendet, die nicht speziell für Entfernungsmessungen konzipiert wurden (Abb. 1). Trotz der Einschränkungen des Datensatzes lieferte ihre Methode zuverlässige Entfernungswerte. Durch die Erstellung eines Hubble-Diagramms aus diesen Messungen (Abb. 2) erhielten sie eine unabhängige Schätzung von H₀:
H₀ = 74,9 ± 1,9 km/s/Mpc

Die gezeigten Messungen aus dem frühen Universum ergeben einen Mittelwert von 67,4 km/s/Mpc, die lokalen Messungen einen Mittelwert von 73,0 km/s/Mpc. Die neue Messung aus dieser Studie, die auf Typ-II-Supernovae (orange) basiert, ist völlig unabhängig von allen anderen Messungen und liefert ein starkes Argument für die Existenz der Hubble-Spannung. Der lokale Ansatz umfasst neben verschiedenen Varianten der kosmischen Entfernungsleiter auch weitere direkte Methoden wie Gravitationslinsen und Wassermaser.
Dieser Wert stimmt mit den meisten anderen lokalen Messungen überein – etwa denen mit Cepheiden kalibrierter Supernovae – und untermauert die Spannung mit Messungen aus dem frühen Universum. Die erreichte Genauigkeit ist vergleichbar mit den besten Methoden und zeigt, dass Typ II Supernovae ein vielversprechendes Werkzeug für die Kosmologie sind (Abb. 3).
Die Studie ist ein überzeugender Machbarkeitsnachweis dafür, dass Typ-II-Supernovae präzise und zuverlässige Entfernungsmessungen im Hubble-Flow liefern können. Zukünftige Arbeiten werden sich darauf konzentrieren, die Stichprobengröße zu erhöhen und die Genauigkeit der Methode durch gezielte Beobachtungen zu verbessern. Zu diesem Zweck haben die Forschenden den adH0cc-Datensatz (https://adh0cc.github.io/) zusammengestellt, eine Sammlung von Typ-II-Supernova-Beobachtungen des Very Large Telescope der ESO, die speziell für präzise Entfernungsmessungen gewonnen wurde. Dieser Datensatz wird als wichtige Ressource für die Weiterentwicklung der Methode dienen.
Indem sie eine unabhängige Überprüfung der lokalen Bestimmung von H₀ liefern, helfen Typ-II-Supernovae den Astrophysikern, eine der drängendsten Fragen der heutigen Kosmologie zu beantworten: Ist die Hubble-Spannung real, und wenn ja, was verrät sie uns über die grundlegende Natur des Universums?