Kernkollaps-Supernovae unter dem Einfluss von schnellen Neutrino-Umwandlungen

1. Juli 2023

Neutrinos, die leichtesten Elementarteilchen, sind der treibende Faktor bei Kernkollaps-Supernovae, dem gewaltsamen Tod von massereichen Sternen. Der Neutrino-getriebene Mechanismus geht davon aus, dass sie für den Energietransfer vom heißen Proto-Neutronenstern (PNS) auf das umgebende Material verantwortlich sind. Bisher nahmen numerische Simulationen an, dass die Neutrinos während der Ausbreitung ihren Flavor behalten. Max-Planck-Forscher haben nun aber gezeigt, dass die Berücksichtigung von Umwandlungen der verschiedenen Arten der Neutrinos einen direkten Einfluss auf die Supernova-Dynamik hat.

Am Ende ihres Lebens, wenn massereiche Sterne ihr gesamtes Rohmaterial verbraucht haben und keine Energie mehr durch Kernfusion erzeugen können, explodieren sie als Supernova. Die elektromagnetische Strahlung derartiger Supernovae kann eine ganze Galaxie überstrahlen, ist aber im Vergleich zu der in Form von Neutrinos freigesetzten Energie sehr schwach. Auch wenn  Neutrinos nur selten mit anderer Materie in Wechselwirkung treten, ist es interessanterweise gerade diese Eigenschaft, wodurch Neutrinos eine entscheidende Rolle dabei spielen können, den Kollaps des Sterns in eine Explosion zu verwandeln.

Wenn die Kernfusion im Innern eines massereichen Sterns zum Erliegen kommt, weil sein Materialreservoir erschöpft ist, führt der fehlende Strahlungsdruck aus dem Zentrum zum Kollaps des Kerns. Es bildet sich ein dichter Proto-Neutronenstern, der klein (einige zehn Kilometer), aber massereich (schwerer als die Sonne) ist. In seinem Inneren ist eine enorme Hitze (einige hundert Milliarden Grad) eingeschlossen, die durch die Gravitationsenergie beim Kollaps erzeugt wird. Neutrinos sind die einzigen Teilchen, die dieser monströsen Umgebung entkommen können, da sie nur sehr selten wechselwirken. Daher werden sie in riesigen Mengen produziert und der Proto-Neutronenstern kann abkühlen.

Dennoch wird ein kleiner Teil der Neutrinos mit der nahe gelegenen Sternmaterie wechselwirken und die Region um den Kern aufheizen. Ist die Energieübertragung effizient genug (eine Absorption von etwa 1 % reicht aus), löst die Erwärmung durch die Neutrinos eine Expansion aus, die stark genug für eine Explosion ist, d. h. eine Supernova wird ausgelöst. Wenn nicht, kollabiert der Stern schließlich zu einem Schwarzen Loch.

Der Neutrino-Flavor ist eine quantenmechanische Eigenschaft und beeinflusst, wie das Neutrino mit der Materie wechselwirkt. Insbesondere Elektron-Neutrinos wechselwirken stärker mit der Materie als Neutrinos anderer Flavors (Myon- und Tau-Neutrinos). Diese wiederum können leichter entkommen und sind daher im Durchschnitt energiereicher. Neutrino-Flavor-Umwandlungen, bei denen einzelne Neutrinos ihren Flavor ändern, sind bereits seit einigen Jahrzehnten bekannt. Da sie jedoch bei sehr hohen Dichten, wie etwa in einem kollabierenden Stern, unterdrückt werden, gingen numerische Simulationen von Supernovae bisher davon aus, dass Neutrinos ihren Flavor behalten.

Kürzlich entdeckten Wissenschaftler, dass Neutrinos kollektive, selbst-induzierte Flavor-Umwandlungen erfahren können, wenn die Neutrinodichte ausreichend hoch ist, wie etwa in Kernkollaps-Supernovae oder im frühen Universum. Die Längenskalen der Umwandlungen liegen jedoch weit unterhalb der Auflösung numerischer Simulationen von Supernovae. Auch die genauen Bedingungen und Ergebnisse der so genannten „schnellen“ Neutrino-Flavor-Umwandlungen bleiben aufgrund der hohen Dimensionalität des Problems mit direkten Simulationen unberechenbar. Nun haben Forscher der Max-Planck-Institute für Astrophysik und für Physik sowie des Niels-Bohr-Instituts den Einfluss schneller und effizienter Flavor-Umwandlungen auf die Dynamik einer Kernkollaps-Supernova gemessen.

Ihr neues, leicht zu berechnendes Modell integriert eine effektive Behandlung von Flavor-Umwandlungen direkt in die numerischen Simulationen. Das Ziel bestand darin herauszufinden, wie groß der Einfluss der Flavor-Umwandlungen sein könnte. Dazu maximiert es diese bis zu den Grenzen, die das Standardmodell der Teilchenphysik zulässt. Die Wissenschaftler untersuchten den Kollaps und die anschließende Akkretionsphase eines Sternmodells, mit einer Masse 20 mal schwerer als die Sonne. In unterschiedlichen Simulationen vergrößerten sie das Sternvolumen, das sich unter dem Einfluss von Flavor-Umwandlungen befindet, und untersuchten, wie das System auf derart starke Veränderungen im Neutrinofeld reagiert.

In Regionen, in denen Neutrinos die Sternmaterie aufheizen, können Flavor-Umwandlungen diese Heizung vorübergehend verstärken, weil einige hochenergetische Myon- oder Tau-Neutrinos in reaktivere Elektron-Neutrinos umgewandelt werden. Der Effekt ist jedoch nicht stark genug, um in dem betreffenden Modell eine Explosion auszulösen. Andererseits können Flavor-Umwandlungen im Proto-Neutronenstern den Kollaps zu einem Schwarzen Loch in dem Modell sogar beschleunigen, weil die umgekehrten Umwandlungen in diesem Bereich die Abkühlung beschleunigen.

Diese Studie zeigt, dass der Einfluss von Neutrino-Umwandlungen bei den Vorhersagen der Simulationen berücksichtigt werden sollte. Auch wenn Flavor-Umwandlungen den Neutrino-getriebenen Mechanismus selbst voraussichtlich nicht in Frage stellen, könnten sie die Dynamik der Explosion erheblich verändern. Es ist jedoch noch zu früh, um endgültige Schlussfolgerungen zu bestimmten Details zu ziehen, da die Implementierung der Effekte schematisch ist und nicht auf detaillierten Berechnungen beruht. Die Simulationen gehen von einer kugelförmigen Symmetrie ohne mehrdimensionale Strömungen aus, die bekanntermaßen eine wichtige Voraussetzung für erfolgreiche Explosionen sind. Schließlich ist auch bekannt, dass die detaillierte Struktur des Vorläufersterns wichtige Aspekte von Supernovae auf nichtlineare Weise stark beeinflusst.

Die beiden letztgenannten Einschränkungen sind bereits Gegenstand einer Folgeuntersuchung, die sich aktuell noch im Peer-Review-Prozess befindet. Diese mehrdimensionalen Kernkollaps-Simulationen schließen nun auch Sterne mit geringerer Masse ein, die typischerweise Explosionen zeigen. Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass Flavor-Umwandlungen in beide Richtungen funktionieren könnten: Bei masseärmeren Vorläufer-Sternen kann die verstärkte Erwärmung die Explosionen deutlich früher auslösen; bei masseärmeren Vorläufern könnten die Flavor-Umwandlungen die Explosionen aufgrund von Kühleffekten behindern. Neutrino-Umwandlungen beeinflussen also nicht nur die Explosionsdynamik und verändern das auf der Erde gemessene Neutrinosignal, sie könnten auch für die Massenverteilung von Schwarzen Löchern und Neutronensternen relevant sein.

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