Der bleibende Fingerabdruck der ersten kosmischen Strukturen
Das Universum beherbergt heute ein riesiges Netz von Galaxien und eine noch größere Anzahl unsichtbarer Strukturen aus dunkler Materie. Doch das war nicht immer so. Als das Universum etwa 100 Millionen Jahren alt war, verdichteten sich die ersten kosmischen Strukturen aufgrund der Gravitation in einem bis dahin nahezu homogenen Universum. Diese Objekte bestanden nur aus dunkler Materie und waren möglicherweise nicht schwerer als die Erde. Die meisten dieser Objekte bleiben nicht lange bestehen: Sie wachsen schnell und schließen sich zu den viel größeren Systemen zusammen, die wir heute kennen. Trotzdem haben Wissenschaftler am MPA in hochauflösenden Simulationen entdeckt, dass einige einzigartige Merkmale der ersten Strukturen diesen Prozess überleben. Die damit verbleibenden Spuren könnten sich in astronomischen Beobachtungen manifestieren und Hinweise auf die Identität der dunklen Materie liefern.
Etwa 85 % der Materie im Universum sind unsichtbare dunkle Materie. Während die mikroskopische Natur der dunklen Materie nach wie vor schwer dingfest zu machen ist, verstehen die Forschenden ihren gravitativen Einfluss recht gut. Dunkle Materie ist die treibende Kraft bei der Entstehung aller kosmischer Strukturen. Die Galaxien, die wir am Himmel beobachten, liegen in den Zentren viel größerer Halos aus dunkler Materie. Darüber hinaus geht man davon aus, dass es eine Vielzahl kleinerer Halos aus dunkler Materie gibt, die zu klein sind, um sichtbare Materie zu enthalten.
Das frühe Universum sah ganz anders aus. Die Verteilung der Materie war glatt und nahezu gleichmäßig. Mit der Zeit verstärkte die Schwerkraft die anfänglich winzigen Schwankungen in der Dichte des Universums. Regionen mit größerer Dichte zogen allmählich das umgebende Material an und wurden noch dichter. Dieser Prozess gipfelte schließlich im Gravitationskollaps, bei dem die ersten Halos aus dunkler Materie entstanden (siehe Animation).
Entstehung einer ‚prompten Spitze‘
Simulationen des Gravitationskollapses zeigen, dass dabei eine bemerkenswerte Eigenschaft entsteht. Verfolgt man die Dichte im Inneren des entstehenden Halos als Funktion der Entfernung vom Zentrum des Systems, so erkennt man die Abhängigkeit als Potenzgesetz. Diese Art der mathematischen Beziehung erscheint als gerade Linie in der logarithmischen Darstellung der Dichte gegen den Radius, sobald sich die Materie zum Zentrum des Systems hin verdichtet hat. Außerdem ist aus dem Film ersichtlich, dass sich die „Dichte-Spitze“ (engl. „prompt cusp“) unmittelbar nach dem Gravitationskollaps bildet und nach ihrer Entstehung stabil bleibt. Auch bei Simulationen über längere Zeiträume fanden die Forschenden keine Anzeichen dafür, dass diese ‚prompten Spitzen‘ durch das Wachstum der sie umgebenden Halos aus dunkler Materie wesentlich verändert wurden, selbst als diese Halos um das Tausendfache wuchsen.
Man geht davon aus, dass die Anzahl der Halos heute astronomisch hoch ist. Pro Sonnenmasse dunkler Materie gibt es möglicherweise Tausende von ihnen, wobei fast alle viel zu klein sind, um sichtbare Materie zu enthalten. Dennoch ist jeder Halo aus einem Objekt der ersten Generation entstanden. Wenn ‚prompte Spitzen‘ überleben, sollte jeder Halo in seinem Zentrum eine solche Spitze haben. Unsere eigene Milchstraßengalaxie und ihr Halo aus dunkler Materie könnten über eine Billiarde kleinerer Halos enthalten. Das würde bedeuten, dass die prompten Spitzen der dunklen Materie die Anzahl der Sterne in der Galaxie um das Zehntausendfache übertreffen!
Dies hat erhebliche Auswirkungen auf die Suche nach Anzeichen für die mikroskopische Identität der dunklen Materie. Dunkle Materie muss sich irgendwie im Universum gebildet haben, und eine Idee, die mit am meisten untersucht wird, besteht darin, dass sie in Teilchen-Antiteilchen-Paaren im sehr heißen, sehr frühen Universum entstanden ist. Wenn die dunkle Materie tatsächlich auf diese Weise entstanden ist, können Teilchen-Antiteilchen-Paare aus dunkler Materie heute in nachweisbare Strahlung zerfallen. In einer Reihe von Experimenten zum „indirekten Nachweis“ wird nach dieser Annihilationsstrahlung gesucht.
Dunkle Materie annihiliert jedoch effizienter in dichteren Regionen. In den prompten Spitzen ist die Dichte außerordentlich hoch. Die MPA-Wissenschaftler schätzen, dass die enorme Häufigkeit dieser Objekte die vorhergesagte Annihilationsrate der dunklen Materie um das Zehnfache erhöhen könnte – eine Schlussfolgerung, die erhebliche Auswirkungen darauf hat, was uns Beobachtungsdaten über die Natur der dunklen Materie verraten.