Neue Analyse verstärkt Hinweis auf neue Physik in polarisierter Strahlung aus dem frühen Universum
Im Jahr 2020 fanden Wissenschaftler in Polarisationsdaten des kosmischen Mikrowellenhintergrunds, die der Planck-Satellit bei hohen Frequenzen gesammelt hatte, einen verlockenden Hinweis auf eine neue Physik, die die „Paritätssymmetrie“ verletzt. Auf der Grundlage der Planck-Daten und einer vereinfachten Annahme, wie sich die polarisierte Staubemission in der Milchstraße auswirkt, betrug das Konfidenzniveau 99,2 % dafür, dass eine Verletzung der Symmetrie physikalischer Gesetze bei einer Umkehrung der Raumkoordinaten vorlag. Ein internationales Team unter der Leitung von MPA-Direktor Eiichiro Komatsu hat nun die Analysemethode verbessert. Durch die explizite Berücksichtigung der Staubemission und die Verwendung weiterer Daten nicht nur von Planck, sondern auch von WMAP haben die Astrophysiker das paritätsverletzende Signal mit 99,987%iger Sicherheit gemessen. Sollte sich dies in Zukunft als echtes kosmologisches Signal bestätigen, hätte dies tiefgreifende Auswirkungen auf die fundamentale Physik hinter dunkler Materie, dunkler Energie und Quantengravitation.
Die Strahlung des kosmischen Mikrowellenhintergrunds (CMB), des Nachleuchtens des Feuerballs am Anfang des Universums, ist linear polarisiert (Abbildung 1). Dieses Muster kann für die Suche nach neuen physikalischen Phänomenen genutzt werden, die die „Paritätssymmetrie“ verletzen, d.h. die Symmetrie der physikalischen Gesetze bei einer Umkehrung der Raumkoordinaten. So funktioniert beispielsweise der Elektromagnetismus auf die gleiche Weise, egal ob man sich im ursprünglichen System oder in einem gespiegelten System befindet, in dem alle Raumkoordinaten vertauscht sind. Eine Verletzung der Paritätssymmetrie wurde bisher nur bei der schwachen Wechselwirkung des Standardmodells der Elementarteilchen und -felder beobachtet. Kann auch das Universum die Paritätssymmetrie verletzen?
Das derzeitige kosmologische Modell erfordert neue Physik jenseits des Standardmodells, wie dunkle Materie und dunkle Energie. Diese könnten aus „pseudoskalaren Feldern“ bestehen, deren Vorzeichen sich bei einer Umkehrung der Raumkoordinaten ändern. In der Teilchenphysik ist das Konzept des Pseudoskalars bekannt. So ist beispielsweise das Teilchen „Pion“ ein Pseudoskalar; ein neutrales Pion zerfällt im Standardmodell über eine paritätsverletzende Wechselwirkung in zwei Photonen. Diese Wechselwirkung kann auch die Ebene der linearen Polarisation der Photonen drehen.
Wenn die potenziellen neuen Pseudoskalare, die für die dunkle Materie und die dunkle Energie verantwortlich sind, auf ähnliche Weise mit den Photonen wechselwirken, müsste sich die Ebene der CMB-Polarisation gedreht haben, während die CMB-Photonen seit mehr als 13 Milliarden Jahren unterwegs sind (Abbildung 2). Dieses Phänomen wird „kosmische Doppelbrechung“ genannt, weil es der Doppelbrechung von Photonen in einem Kristall ähnelt. Der mit pseudoskalarer dunkler Materie und dunkler Energie gefüllte Raum verhält sich also wie ein doppelbrechendes Material! Die Entdeckung der kosmischen Doppelbrechung hat tiefgreifende Auswirkungen auf die grundlegende Physik hinter dunkler Materie, dunkler Energie und sogar der Quantengravitation.
Das Muster der linearen Polarisation kann in Eigenzustände der Parität zerlegt werden, die als E- und B-Moden bezeichnet werden (siehe auch Abb. 2). Die E-Moden ändern bei der Inversion der Raumkoordinaten ihr Vorzeichen nicht, die B-Moden hingegen schon. Die Kreuzkorrelation zwischen den beiden Feldern, die sogenannte „EB-Korrelation“, verschwindet, wenn die Paritätssymmetrie erhalten ist. Man kann daher nach neuer Physik suchen, die die Paritätssymmetrie verletzt, indem man die EB-Korrelation des CMB misst.
Eine frühere Analyse der EB-Korrelation in den Polarisationsdaten des Planck-Satelliten ergab einen verlockenden Hinweis auf kosmische Doppelbrechung mit einem Signifikanzniveau von 99,2 % (siehe diese MPA-Pressemitteilung von 2020). Hierbei wurde festgestellt, dass die Ebene der linearen Polarisation des CMB um einen Winkel β = 0,35 ± 0,14 Grad gedreht war. Dieses Ergebnis basierte auf Daten des Hochfrequenz-Instruments (HFI) des Planck-Satelliten aus dem Public Release 3 bei Frequenzen oberhalb von 100 GHz.
Nun hat das internationale Team unter der Leitung von MPA-Direktor Eiichiro Komatsu weitere CMB-Daten verwendet, darunter die neueste Aufbereitung der Planck-HFI-Daten aus Public Release 4 sowie Daten des Planck-Niederfrequenzinstruments (LFI) und von WMAP mit Frequenzen unter 100 GHz. Der kombinierte Datensatz deckt einen breiten Frequenzbereich von 23 bis 353 GHz ab. Das Team verbesserte auch die Analysemethode, indem es berücksichtigte, wie interstellare Staubkörner in der Milchstraße die EB-Korrelation der Polarisation beeinflussen könnten. Sie fanden ein verbessertes Ergebnis für den Drehwinkel von β = 0,34 ± 0,09 Grad, das β=0 mit einem Signifikanzniveau von 99,987% ausschließt. Die beobachtete EB-Korrelation ist in Abbildung 3 dargestellt. Der gemessene Winkel β ist unabhängig von den Frequenzen und robust gegenüber dem Anteil des Himmels, der für die Analyse verwendet wurde.
Auch wenn dieses Ergebnis stark in eine bestimmte Richtung weist, ist eine größere statistische Signifikanz von 99,99995% erforderlich, um von der Entdeckung einer neuen Physik zu sprechen. Dies könnte in naher Zukunft durch bestehende und zukünftige CMB-Experimente auf der ganzen Welt erreicht werden.