Die Ausrichtung von massereichen roten elliptischen Galaxien

1. April 2022

Sind die Ausrichtungen der Galaxien zufällig im Kosmos verteilt? Diese scheinbar einfache Frage könnte nicht nur unser Verständnis der Entstehung von Galaxien und Galaxienhaufen voranbringen, sondern auch unser Wissen über kosmologische Modelle erweitern. MPA-Wissenschaftler versuchen mit internationalen Kollegen durch die erste direkte, feldbasierte Messung zu klären, ob und wie sich massereiche rote elliptische Galaxien an dem Gezeitenfeld der großräumigen Strukturen ausrichten. Ihr Ergebnis bestätigt die Vorhersagen des (linearen) Ausrichtungsmodells der intrinsischen Ausrichtung von Galaxien. Die von ihnen vorgestellte neue Methode eröffnet auch neue Wege für die Kosmologie und Astrophysik.

Unser derzeitiges Bild der Strukturbildung im kosmologischen Standardmodell Lambda-CDM (Kalte Dunkle Materie mit einer kosmologischen Konstante Lambda) beinhaltet ein großräumiges kosmisches Netz, in dem kugelförmige Überdichten an Materie unter ihrer eigenen Schwerkraft kollabieren. Bei diesem Kollaps entsteht ein Halo aus Dunkler Materie und in diesem bilden sich Galaxien, typischerweise eine zentrale massereiche rote elliptische Galaxie und mehrere Satelliten. Unter der Annahme, dass dieses Szenario korrekt ist, kann man sich Folgendes vorstellen: Wenn der Kollaps in einem externen, ungleichmäßigen Gravitationsfeld stattfindet, können die Halos so zusammengedrückt oder gedehnt werden, dass ihr Umriss gestreckt wird und sie sich an dieser externen Gezeitenkraft ausrichten (Abb. 1). Ein derartiges äußeres Gezeitenfeld ist aufgrund der großräumigen Verteilung der Materie im kosmischen Netz sehr häufig. Wenn die Form einer massereichen zentralen Galaxie zudem dazu neigt, der Form ihres Halos aus Dunkler Materie zu folgen, sollten sich die Galaxien an dem Gezeitenfeld der großräumigen Struktur ausrichten und ihm folgen.

Darüber hinaus ist die intrinsische Ausrichtungseigenschaft von Galaxien typischerweise eine bedeutende Quelle für die Systematik in sogenannten „kosmischen Scheranalysen“ (cosmic shear). Bei diesen Analysen wird gemessen, wie die Umrisse und Ausrichtungen von Hintergrundgalaxien durch die projizierte Verteilung der Vordergrundmassen aufgrund des schwachen Gravitationslinseneffekts systematisch verzerrt und geschert werden. Diese Art der Messung (der extrinsischen Ausrichtung von Hintergrundgalaxien) stellt eine ergänzende und konkurrenzfähige Einschränkung der kosmologischen Parameter dar, da sie direkt die gesamte Materieverteilung untersucht. Es ist jedoch wichtig, dass die intrinsische Ausrichtung dieser Hintergrundgalaxien richtig modelliert und berücksichtigt wird.

Kürzlich hat ein internationales Team unter der Leitung von Eleni Tsaparazi (Doktorandin an der Universität Stockholm) und Minh Nguyen (ehemaliger MPA-Doktorand, jetzt Postdoc am LCTP in Michigan) die intrinsische Ausrichtung massereicher roter elliptischer Galaxien durch eine eins-zu-eins (Kreuz-)Korrelationen zwischen ihren Formen und den sie umgebenden großräumigen Gezeitenfeldern gemessen und nachgewiesen. Diese feldbasierte Messung der intrinsischen Ausrichtung von Galaxien wurde zum ersten Mal in zwei Schritten durchgeführt:

Zunächst leitete das Team das dreidimensionale Gezeitenfeld ab – als Funktion der Glättungsskala in der Rekonstruktion – innerhalb des von der SDSS-BOSS-Durchmusterung beobachteten Volumens, wobei Unsicherheiten und Systematiken wie die Geometrie der Durchmusterung, Selektionsfunktionen und Rauschen durch Vordergrundgalaxien angemessen berücksichtigt wurden. Dies führte zu Hunderten von Realisierungen des großräumigen Gezeitenfeldes, die mit den BOSS-LOWZ- und CMASS-Galaxienproben kompatibel sind.

Zweitens entwickelte das Team ein robustes Bayes'sches Verfahren, das auf jeder Skala und für jede Galaxie in einer Teilprobe von LOWZ-Galaxien alle Realisierungen des Gezeitenfeldes mit der jeweiligen Form der Galaxien vergleicht, beides projiziert auf die Ebene senkrecht zur Sichtlinie (Abb. 2). Diese Methode ermöglichte es ihnen außerdem, das Signal der intrinsischen Ausrichtung der Galaxien für ein bestimmtes theoretisches Ausrichtungsmodell optimal zu extrahieren. Insbesondere untersuchte das Team das lineare Ausrichtungsmodell, bei dem das Signal linear und proportional zur Stärke des großräumigen Gezeitenfeldes am Standort der jeweiligen Galaxie ist, und schränkte es ein.

Mit diesem zweistufigen Verfahren konnte das Team ein hochsignifikantes Signal nachweisen, dass sich leuchtstarke, rote elliptische Galaxien in der LOWZ-Stichprobe tatsächlich an dem großräumigen Gezeitenfeld um diese Galaxien herum ausrichten. Das Signal ist in einem weiten Bereich von Skalen signifikant – bei 20 Mpc/h erreichte es eine Signifikanz von 4 Sigma – und seine Amplitude ist auf allen Skalen relativ ähnlich, was mit der Vorhersage des linearen Ausrichtungsmodells übereinstimmt.

Zur Validierung der Entdeckung würfelte das Team die Galaxien als wichtigen Test durcheinander, was zu einem Nullsignal führte, d.h. in diesem Fall gab es auf allen betrachteten Skalen keine Korrelation zwischen der Form einer Galaxie und ihrem lokalen Gezeitenfeld. Dies zeigt, dass nicht zu vernachlässigende Quellen von systematischen Fehlern in der Studie korrekt berücksichtigt wurden. Das Team stellte zudem keine Abhängigkeit der Amplitude der linearen Ausrichtung von Leuchtkraft, Farbe oder Rotverschiebung fest.

Das Ergebnis dieser Studie und ihr zweistufiger Ansatz versprechen faszinierende Möglichkeiten für die Kosmologie und Astrophysik. Einerseits kann diese Art der Kreuzkorrelationsmessung als Kreuzvalidierung für das Standardmodell Lambda-CDM dienen, das normalerweise im ersten Schritt angenommen wird. Andererseits können nun im zweiten Schritt verschiedene intrinsische Ausrichtungsmodelle auf unkomplizierte Weise untersucht und eingeschränkt werden, mit einem minimalen Satz von Annahmen für die Modellierung. Dies wird nicht nur unser Wissen über die Entstehung von Galaxien erweitern, sondern auch unsere Fähigkeit, kosmologische Parameter durch die oben erwähnten Analysen des schwachen Gravitationslinseneffekts zu bestimmen.

 

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