Die Schnittstelle zwischen Gaseinfall und -ausstoß in einem hoch-rotverschobenen massereichen Halo
Der größte Teil der Materie im frühen Universum liegt außerhalb der Galaxien und ist in einem Netz aus Filamenten und Knoten organisiert, in dem Galaxien in ihren Halos aus dunkler Materie entstehen und sich entwickeln. Die gravitativ an jeden Galaxienhalo gebundene Materie, auch bekannt als zirkumgalaktisches Medium (CGM), kodiert Schlüsselinformationen über die Prozesse (wie Gaseinfall und -ausfluss), die die Galaxienentwicklung regulieren. Obwohl den Astronomen schon seit Jahrzehnten klar ist, wie wichtig es wäre die CGM-Physik zu entschlüsseln, erlauben erst jüngste technische Entwicklungen in der Instrumentierung bei optischen und Submillimeter-Wellenlängen die direkte Untersuchung dieses Gases in Emissions- und in Absorptionsspektren von hellen Hintergrundquellen.
In diesem Rahmen sind Galaxiensysteme, die von den massereichsten Halos im frühen Universum beherbergt werden, mit Massen von mehr als dem Billionenfachen der Sonnenmasse, ideale Ziele für Pilotstudien des CGM. In diesen massereichen Halos können gewaltige Ausbrüche von Sternentstehung und Episoden starker AGN-Aktivität beobachtet werden, von denen man annimmt, dass sie enorme Ausflüsse antreiben, die Materie mit hohen Geschwindigkeiten ins CGM schleudern. Daher sollten diese Ausflüsse in der Lage sein, Materie von Galaxien auf größere Skalen umzuverteilen und sie mit der einfallenden Materie auf intergalaktischen Skalen zu vermischen.
Da die Geschwindigkeiten des Einfalls und des Ausflusses extrem groß sind, ist ihr Zusammentreffen sehr turbulent. Um dies zu untersuchen, hat ein internationales Team von Astronomen neue Beobachtungen der Galaxiengruppe SMM J02399-0136 (Abb. 1) erstellt. Diese Galaxiengruppe befindet sich im frühen Universum, etwa 2,3 Milliarden Jahre nach dem Urknall, und sollte in einem Halo aus dunkler Materie sitzen, der 10 Billionen Mal die Masse der Sonne haben sollte.
In einem ersten Schritt nahmen die Astronomen die Emission der Wasserstoff-Lyman-Alpha-Linie (Lyα) um die Galaxiengruppe ins Visier, um das Gasreservoir mit einer Temperatur von etwa zehntausend Grad aufzuspüren. Die Beobachtungen, die mit dem "Panorama"-Integralfeldspektrographen des "Keck Cosmic Web Imager" am Keck-Teleskop durchgeführt wurden, enthüllten eine ausgedehnte, helle Lyα-Emission mit Ausflüssen hoher Geschwindigkeit in der Nähe des Quasars L1 und der Starburst-Galaxie L2SW (Abb. 2) sowie einen turbulenten Nebel, der etwa doppelt so groß ist, wie die in Abbildung 1 dargestellte Region.
Im nächsten Schritt wurde die Galaxiengruppe mit dem ALMA-Interferometer beobachtet, um den J=1-0-Übergang eines leichten Hydrids (dem Methylidyne-Kation CH+) zu detektieren, das für seine Anregung sehr dichtes molekulares Gas benötigt. CH+ ist ein sehr fragiles Molekül: Für seine Entstehung benötigt es molekularen Wasserstoff H2, allerdings in geringen Anteilen, damit es nicht gleich wieder bei Kollisionen mit diesem Partner zerstört wird. Außerdem ist seine Entstehung stark endotherm und erfordert eine große Menge an supra-thermischer Energie von Eform ~ 0,5 eV. Aus diesem Grund ist CH+ ein spezifischer Tracer von Regionen, in denen die kinetische Energie des molekularen Gases dissipiert wird, z.B. von Turbulenzen oder Schocks. Dieses fragile Molekül kann auch nur dort beobachtet werden, wo es entsteht, da seine Lebensdauer extrem kurz ist (etwa 1 Jahr).
Bemerkenswerterweise wurde CH+ sowohl in Absorption als auch in Emission in der Galaxiengruppe SMM J02399-0136 nachgewiesen. Die Absorption, die in Gas geringer Dichte vor der Kontinuumsemission von Staub aus dem Quasar L1 und der Starburst-Galaxie L2SW auftritt, zeichnet ein massereiches turbulentes Reservoir von kühlem molekularem Gas nach, dessen Ausdehnung mit dem großen Lyα-Nebel vergleichbar ist. Das CGM dieses massereichen Systems ist also mehrphasig. Wichtig ist, dass die CH+-Absorption bei positiven Geschwindigkeiten in Bezug auf die Zentralgalaxien gefunden wird (Abb. 3), ähnlich denen des großen Lyα-Nebels. Da eine positive Geschwindigkeit eine Bewegung vom Beobachter weg bedeutet, fällt also das gesamte mehrphasige CGM auf die Galaxiengruppe ein.
CH+-Emission wird versuchsweise in Strukturen nachgewiesen, die ungefähr der Form der Hochgeschwindigkeits-Lyα-Emission folgen (Abb. 3). Diese CH+-Emissionslinien sind extrem breit und weisen auf unzählige molekulare Schocks beim Aufeinandertreffen von einfallendem CGM und den Ausflüssen hoher Geschwindigkeit hin.
Dank dieser Beobachtungen sind die Astronomen auch in der Lage, die Umverteilung der Energie im CGM zu untersuchen. Die starken Ausströmungen, die durch Ausbrüche von Sternentstehung und AGN-Aktivität angetrieben werden, injizieren eine beträchtliche Menge an kinetischer Energie in das CGM, die ausreicht, um seine Turbulenz aufrechtzuerhalten. Die beträchtliche Massenakkretionsrate, die die Verbrauchsrate des Gases aufgrund der anhaltend hohen Sternentstehung fast ausgleicht, stellt eine vergleichbare Energiequelle für die CGM-Turbulenz dar, da die akkretierende Materie bei ihrem Einfall in die Galaxiengruppe Gravitationsenergie verliert.
Insgesamt zeigen diese Beobachtungen einen vielversprechenden Weg, um direkt das Aufeinandertreffen von Einfall und Ausfluss im CGM massereicher Systeme untersuchen zu können. Zukünftige, gezielte Tiefenbeobachtungen werden in der Lage sein, die physikalischen Eigenschaften und Energiespuren des turbulenten, mehrphasigen, großräumigen Gasreservoirs, das diese aktiven Umgebungen umgibt, zu enthüllen.