Kosmische Linsen bestätigen die schnelle Expansion des Universums

26. Januar 2017
Unter Zuhilfenahme von Galaxien als riesige Gravitationslinsen führte eine internationale Gruppe von Astronomen, darunter Forscher am Max-Planck-Institut für Astrophysik, eine unabhängige Messung durch, wie schnell sich das Universum ausdehnt. Die neu gemessene Expansionsrate für das lokale Universum steht dabei im Einklang mit früheren Messungen. Erstaunlicherweise stimmen diese jedoch nicht mit Messungen aus dem frühen Universum überein. Dies deutet auf ein grundsätzliches Problem bei unserem Verständnis des Kosmos hin.

Die Hubble-Konstante, also die Geschwindigkeit mit der das Universum expandiert, ist eine der grundlegenden Größen, die unser Universum beschreiben. Eine Gruppe von Astronomen aus der H0LiCOW-Kooperation nutzte das Weltraumteleskop Hubble und weitere Teleskope im All und auf der Erde, um fünf Galaxien zu beobachten und diese für eine unabhängige Messung der Hubble-Konstante zu nutzen. Die neue Messung ist völlig unabhängig von - aber in ausgezeichneter Übereinstimmung mit - anderen Messungen der Hubble-Konstante im lokalen Universum, die sogenannte „Cepheidensterne“ und Supernovae als Referenzpunkte verwendeten.

Angeführt wird das Konsortium von Sherry Suyu, die kürzlich vom Institute of Astronomy and Astrophysics der Academia Sinica (ASIAA) in Taipeh (Taiwan) nach Garching wechselte, wo sie jetzt im Max Planck@TUM-Programm Gruppenleiterin und Tenure Track-Professorin am Max-Planck-Institut für Astrophysik und der Technischen Universität München ist.

Der von Suyu und ihrem Team gemessene Wert sowie die mit Cepheiden und Supernovae gemessenen Werte unterscheiden sich jedoch von der Messung des Planck-Satelliten. Dabei gibt es einen wichtigen Unterschied: Planck maß die Hubble-Konstante für das frühe Universum durch Beobachtung des kosmischen Mikrowellenhintergrundes. Während der Planck-Wert für die Hubble-Konstante mit unserem gegenwärtigen Verständnis des Kosmos übereinstimmt, stehen die Werte, die die Astronomen für das lokale Universum erhalten haben, im Widerspruch zum akzeptierten theoretischen Modell des Universums.

"Wir schaffen es inzwischen, die Expansionsrate des Universums in unterschiedlicher Weise mit einer solch hohen Genauigkeit zu messen, dass dabei auftretende Diskrepanzen möglicherweise auf eine neue Physik hinweisen, die über unsere gegenwärtige Kenntnis des Universums hinausgeht", erläutert Suyu.

Die Ziele der Studie waren massereiche Galaxien zwischen den Beobachtern auf der Erde und sehr entfernten Quasaren - unglaublich leuchtkräftigen Galaxienkernen. Das Licht der Quasare wird durch die als starke Gravitationslinse wirkende, riesige Masse der Galaxie gebeugt - ein Vorgang, den der Schweizer Astronom Fritz Zwicky bereits vor 80 Jahren vorhersagte. Dies erzeugt mehrere Bilder des Hintergrund-Quasars, einige werden zu Bögen verzerrt.

Da die Galaxien aber keine perfekt sphärischen Verzerrungen im Raum erzeugen und außerdem die Linsengalaxien und Quasare nicht perfekt hintereinander ausgerichtet sind, legt das Licht der verschiedenen Bilder des Hintergrundquasars etwas unterschiedliche Wege zurück, die auch unterschiedliche Längen aufweisen. Die Helligkeit von Quasaren ändert sich mit der Zeit und so können die Astronomen sehen, dass die verschiedenen Bilder zu unterschiedlichen Zeiten aufflackern. Die Verzögerungen dazwischen sind dabei abhängig von der zurückgelegten Weglänge des Lichts und stehen in direktem Zusammenhang mit dem Wert der Hubble-Konstante. "Unsere Methode ist die einfachste und direkteste Methode, um die Hubble-Konstante zu messen, da sie nur Geometrie und Relativitätstheorie verwendet, keine weiteren Annahmen", erklärt Co-Autor Frédéric Courbin von der EPFL, Schweiz.

Die genauen Messungen der Zeitverzögerungen zwischen den einzelnen Bildern sowie Computermodelle erlaubten es dem Team die Hubble-Konstante mit beeindruckend hoher Präzision zu ermitteln: 3,8%. „Dafür mussten wir in unserer Analyse auch die Lichtablenkung durch alle anderen Galaxien in der Nähe der Linsengalaxie einbeziehen,“ erklärt Stefan Hilbert vom Exzellenzcluster Universe. „Eine genaue Messung der Hubble-Konstante ist heutzutage einer der begehrtesten Preise in der kosmologischen Forschung“, betont Teammitglied Vivien Bonvin von der EPFL, Schweiz. Und Suyu fügt hinzu: „Die Hubble-Konstante ist für die moderne Astronomie von entscheidender Bedeutung, da sie bei der Beantwortung der Frage hilft, ob unser Bild des Universums - bestehend aus dunkler Energie, dunkler Materie und normaler Materie - korrekt ist oder ob wir etwas Grundsätzliches übersehen haben.“

Notizen

1. Über Max Planck@TUM: Für hochqualifizierte Nachwuchswissenschaftlerinnen und -wissenschaftler bieten TUM und Max-Planck-Gesellschaft (MPG) einen kombinierten Karriereweg: Forschen als Max Planck Research Group Leader mit einer Tenure-Track-Professur an der Technischen Universität München. Alle Informationen zur gemeinsamen Berufung durch TUM und MPG finden Sie hier.

2. Die Studie verwendete neben dem Weltraumteleskop Hubble der NASA/ESA das Keck-Teleskop, das VLT der ESO, das Subaru-Teleskop, das Gemini-Teleskop, das Victor M. Blanco Teleskop, das Canada-France-Hawaii Teleskop sowie das Spitzer-Weltraumteleskop der NASA. Außerdem wurden Daten des Schweizer 1,2-Meter-Leonhard-Euler-Teleskop und des MPG/ESO 2,2-Meter-Teleskop verwendet.

3. Der vom H0LiCOW-Team bestimmte Wert für die Hubble-Konstante beträgt 71,9±2,7 Kilometer pro Sekunde pro Megaparsec. Wissenschaftler konnten im Jahr 2016 mit dem Hubble Weltraumteleskop einen Wert von 73,24±1,74 Kilometer pro Sekunde pro Megaparsec messen. Der Planck-Satellit bestimmte 2015 die Konstante mit der bisher höchsten Präzision und einem Wert von 66,93±0,62 Kilometer pro Sekunde pro Megaparsec.

 

Mehr Informationen

Diese Studie wurde in einer Reihe von Artikeln veröffentlich, die im Journal MNRAS erscheinen werden (siehe Links auf der rechten Seite).

Das internationale Team besteht aus: S. H. Suyu (Max Planck Institute for Astrophysics, Germany; Academia Sinica Institute of Astronomy and Astrophysics, Taiwan; Technical University of Munich, Germany), V. Bonvin (Laboratory of Astrophysics, EPFL, Switzerland), F. Courbin (Laboratory of Astrophysics, EPFL, Switzerland), C. D. Fassnacht (University of California, Davis, USA), C. E. Rusu (University of California, Davis, USA), D. Sluse (STAR Institute, Belgium), T. Treu (University of California, Los Angeles, USA), K. C. Wong (National Astronomical Observatory of Japan, Japan; Academia Sinica Institute of Astronomy and Astrophysics, Taiwan), M. W. Auger (University of Cambridge, UK), X. Ding (University of California, Los Angeles, USA; Beijing Normal University, China), S. Hilbert (Exzellenzcluster Universe, Germany; Ludwig-Maximilians-Universität, Munich, Germany), P. J. Marshall (Stanford University, USA), N. Rumbaugh (University of California, Davis, USA), A. Sonnenfeld (Kavli Institute for the Physics and Mathematics of the Universe, the University of Tokyo), M. Tewes (Argelander-Institut für Astronomie, Germany), O. Tihhonova (Laboratory of Astrophysics, EPFL, Switzerland), A. Agnello (ESO, Garching, Germany), R. D. Blandford (Stanford University, USA), G. C.-F. Chen (University of California, Davis, USA; Academia Sinica Institute of Astronomy and Astrophysics, Taiwan), T. Collett (University of Portsmouth, UK), L. V. E. Koopmans (University of Groningen, The Netherlands), K. Liao (University of California, Los Angeles, USA), G. Meylan (Laboratory of Astrophysics, EPFL, Switzerland), C. Spiniello (INAF – Osservatorio Astronomico di Capodimonte, Italy; Max Planck Institute for Astrophysics, Garching, Germany) and A. Yıldırım (Max Planck Institute for Astrophysics, Garching, Germany)

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