Ein Universum aus schwarzen Löchern?
Die Natur der Dunklen Materie ist noch weitgehend unbekannt; mögliche Erklärungen reichen von mikroskopisch kleinen Elementarteilchen bis hin zu Schwarzen Löchern mit Massen, die um ein Vielfaches größer sind als die der Sonne. Forscher des MPA, der Carnegie Observatories und der University of Sussex haben kürzlich konkrete und zuverlässige Vorhersagen darüber getroffen, wie das Universum aussehen würde, wenn die Dunkle Materie ausschließlich aus massereichen Schwarzen Löchern bestehen würde: Sie führten die erste in sich schlüssige Studie darüber durch, wie sich in einem solchen Universum Strukturen bilden würden und wie viele dieser Schwarzen Löcher verschmelzen und beobachtbare Gravitationswellen aussenden würden.
Astronominnen und Astronomen und Kosmologinnen und Kosmologen haben zahlreiche Hinweise auf die Existenz von „dunkler Materie“ gesammelt, einer Materiekomponente, die sich zu Haufen zusammenballt und bislang nur über ihre Gravitationswirkung beobachtet werden kann. Es wurden viele Kandidaten für dunkle Materie vorgeschlagen, von mikroskopisch kleinen Elementarteilchen bis hin zu Schwarzen Löchern mit einer Masse, die ein Vielfaches der Sonnenmasse beträgt. Schwarze Löcher, aus denen die dunkle Materie besteht, müssten sich im frühen Universum gebildet haben und werden daher als „primordiale schwarze Löcher“ (PBH) bezeichnet. Wichtig ist, dass astrophysikalisch (z. B. durch den Kollaps von Sternen) entstandene schwarze Löcher die Hinweise auf dunkle Materie, die in Untersuchungen des frühen Universums wie der kosmischen Mikrowellenhintergrundstrahlung gefunden wurden, nicht erklären könnten. Sie wären außerderm nicht in ausreichender Zahl vorhanden. Eine viel studierte Möglichkeit ist, dass die PBHs gegen Ende der Inflationsphase im frühen Universum entstanden sind.
Eine Vielzahl von Beobachtungen, darunter Gamma- und Röntgenstrahlungshintergründe, Gravitationslinsen, die großräumige Struktur des Universums und die kosmische Mikrowellenhintergrundstrahlung, haben verschiedene Einschränkungen für die zulässigen PBH-Massen festgelegt. Dennoch könnte zumindest ein Teil der dunklen Materie noch aus PBHs in mehreren potenziellen „Massenfenstern“ bestehen.
Forscher des MPA, der Carnegie Observatories und der University of Sussex haben kürzlich die erste konsistente Studie darüber durchgeführt, wie sich Strukturen in einem Universum mit primordialer dunkler Materie in Form von Schwarzen Löchern (mit einer Masse von etwa 16 Sonnenmassen) bilden würden, indem sie die Entwicklung einer Region im Universum mit einer leicht überdurchschnittlichen Dichte untersuchten. Sie haben dabei die Entwicklung im frühen Universum sorgfältig verfolgt und die Berechnungen dann mit dem hochmodernen N-Körper-Code BIFROST fortgesetzt. BIFROST berechnet alle Gravitationskräfte zwischen den einzelnen Schwarzen Löchern in der Simulation ohne jede Einschränkung der Auflösung. Der Code berücksichtigt auch relativistische Effekte, die für die Libration und Präzession der Umlaufbahnen von PBH-Binärsystemen verantwortlich sind und an Einsteins berühmte Erklärung für den Periapsis-Vorschub der Merkurbahn erinnern. Am wichtigsten ist, dass auch die Auswirkungen der Gravitationswellenstrahlung modelliert werden, sodass PBH-Binärsysteme in den Simulationen verschmelzen können. In dieser Pilotstudie wurde angenommen, dass 100 % der dunklen Materie aus PBHs besteht. Gemischte Modelle mit verschiedenen Komponenten der dunklen Materie, einschließlich wechselwirkender PBHs, sind numerisch weitaus schwieriger zu simulieren, könnten aber in den nächsten Jahren realisierbar werden.
Die rechte Spalte von Video 1 zeigt die Entwicklung der Dichte der dunklen Materie in diesem Szenario. Zum Vergleich führte das Team auch Simulationen derselben Region in einem Szenario durch, in dem die dunkle Materie aus mikroskopisch kleinen Teilchen besteht (linke Spalte). Die Dichteverteilung der teilchenförmigen dunklen Materie ist viel gleichmäßiger, während in der PBH-Simulation die diskreten massiven Körper sichtbar sind. Die mittlere Spalte zeigt das Ergebnis einer approximativen PBH-Simulation, bei der kleinräumige Gravitationswechselwirkungen vernachlässigt werden; die deutlich sichtbaren Unterschiede zur rechten Spalte verdeutlichen die Bedeutung eines präzisen Codes wie BIFROST für diese Studie.
Die Dynamik des untersuchten Systems aus Schwarzen Löchern ist hochkomplex. Enge Begegnungen zwischen mehreren Schwarzen Löchern können zu Katapult-Effekten führen, bei denen ein Schwarzes Loch mit hoher Geschwindigkeit „weggeschleudert“ wird (die Energie für diesen Impuls stammt aus den tiefen Potentiatöpfen der Schwarzen Löcher). Dies wird in Video 2 veranschaulicht, das die Bewegungen einzelner Schwarzer Löcher in der Simulation über einen kurzen Zeitraum zeigt (im Wesentlichen eine dynamische, herangezoomte Version von Video 1). Diese Dynamik genau zu erfassen und gleichzeitig das System über die gesamte Geschichte des Universums (oder zumindest einen wesentlichen Teil davon) zu verfolgen, ist eine große Herausforderung, und die vorliegende Studie präsentiert die ersten Berechnungen dieser Art, die jemals durchgeführt wurden.
Angesichts der dramatischen Unterschiede zwischen den Szenarien mit primordialen Schwarzen Löchern und mit dunkler Materie in Form von Teilchen in Video 1 würde man erwarten, dass Astronominnen und Astronomen leicht erkennen könnten, welches Szenario dem realen Universum entspricht. Allerdings können wir weder dunkle Materie in Form von Teilchen noch Schwarze Löcher direkt beobachten; außerdem sind die hier gezeigten Längenskalen sehr klein und schwer zu untersuchen. Daher ist ein wenig Kreativität erforderlich, um Beobachtungsmethoden zur Untersuchung primordialer Schwarzer Löcher zu entwickeln. Beispielsweise kann die „körnige“ Massenverteilung im Fall primordialer Schwarzer Löcher die Verteilung der Sterne in Galaxien beeinflussen (sie „erwärmen“).
Einer der eindeutigsten und wahrscheinlich spannendsten Nachweise für dieses Szenario sind jedoch die Gravitationswellen, die von der Population Schwarzer Löcher ausgesendet werden, insbesondere wenn zwei Schwarze Löcher verschmelzen, was geschieht, wenn sie sich einander ausreichend nähern. Dies ist Gegenstand der laufenden Folgearbeiten des Teams. Ein erstes Ergebnis wurde jedoch bereits in der hier vorgestellten Studie veröffentlicht: die Gesamtintensität aller durch Verschmelzungen erzeugten Gravitationswellen als Funktion der Zeit (Abb. 3). Dieses Signal ist bereits um mehrere Größenordnungen größer als das, was derzeit im Universum durch die LIGO/Virgo/Kagra-Experimente beobachtet wird, und dürfte strenge Einschränkungen für den Anteil primordialer Schwarzer Löcher an der dunklen Materie mit sich bringen.
Darüber hinaus sagen die Simulationen voraus, dass Verschmelzungen von primordialen Schwarzen Löchern bereits im sehr jungen Universum (Rotverschiebungen 𝑧>100) stattfinden sollten, zu einer Zeit, bevor sich Sterne gebildet haben. Eine solche Verschmelzung könnte nicht durch astrophysikalische Schwarze Löcher erklärt werden und wäre ein eindeutiger Hinweis auf primordiale Schwarze Löcher. Zukünftige Experimente wie das Einstein-Teleskop werden solche Verschmelzungen tatsächlich nachweisen können, wenn primordiale Schwarze Löcher im Sonnenmassenbereich existieren.
