Ursprung kosmischer Röntgenstrahlen aus der Milchstraßenebene

Forschungsbericht (importiert) 2005 - Max-Planck-Institut für Astrophysik

Autoren
Sazonov, Sergey; Revnivtsev, Mike
Abteilungen
Hochenergie-Astrophysik (Prof. Dr. Rashid Sunyaev)
MPI für Astrophysik, Garching
Zusammenfassung
Zusammenfassung Um das Rätsel um den Ursprung der Röntgenstrahlung in der Milchstraßenebene (GRXE, engl. Galactic ridge X-ray emissionzu lösen wird die genaue räumliche Verteilung dieser Strahlung mithilfe von Daten des Röntgensatelliten RXTE (engl. Rossi X-ray Timing Explorer) untersucht. Die gefundene Verteilung ist sehr ähnlich der, die man für die Infrarotstrahlung von Objekten in der Ebene der Milchstraße und ihrer zentralen linsenförmigen Verdickung findet, was bedeutet, dass die diskutierte Röntgenstrahlung der Verteilung der Sterne unserer Galaxie folgt. Im zweiten Teil der Untersuchung werden Beobachtungen der beiden Satelliten RXTE and ROSAT benutzt, um die Gesamtstrahlung von schwachen Röntgenquellen in der Umgebung der Sonne zu ermitteln. Diese Abschätzung zeigt, dass der Hauptteil der Röntgenstrahlung in der Milchstraßenebene verstanden werden kann als Überlagerung der Strahlung von Tausenden von kataklysmischen Veränderlichen und Millionen von Sternen mit aktiver Korona.

Die kosmische Röntgenstrahlung aus der Milchstraßenebene mit Energien höher als 2keV lässt sich in zwei wesentliche Beiträge zerlegen - eine weitgehend uniforme Hintergrundstrahlung (CXB, engl. Cosmic X-ray background) und eine scheinbar diffuse Emission, die sich im Bereich der Milchstraßenebene konzentriert (GRXE, engl. Galactic ridge X-ray emission). Wie bereits seit längerer Zeit bekannt, lässt sich erstere als Überlagerung der Strahlung von extragalaktischen Röntgenquellen (aktiver galaktischer Kerne) verstehen. Der Ursprung der scheinbar diffusen Emission blieb bislang ungeklärt.

Wie schon frühere Beobachtungen mit verschiedenen Röntgensatelliten zeigten, kommen die maximalen Werte der Strahlung aus der Milchstraßenebene aus einem großen Längengradbereich, aber nur einigen wenigen Breitengraden. Zudem ist wahrscheinlich die Intensität im Zentrum hoch. Verschiedene Emissionslinien stark ionisierter schwerer Elemente im Energiespektrum der Röntgenstrahlung weisen daraufhin, dass diese Strahlung von einem heißen Plasma von 5-10 keV emittiert wird. Die gesamte Leuchtkraft wird auf ~ 1-2 x 1038 erg s-1 geschätzt. Die Emission wird bis zu Energien von (mind.) 20-25 keV beobachtet. Das Spektrum oberhalb von 3 keV besteht aus einem Kontinuumsanteil, der einem Potenzgesetz (mit Photonenindex ~ 2.1) folgt, sowie starken Emissionslinien bei 6-7 keV. Bereits kurz nach der Entdeckung mit Beginn der Röntgenbeobachtungen vor ca. 30 Jahren wurde der Vorschlag diskutiert, dass diese Strahlung auf eine große Anzahl schwacher punktartiger Röntgenquellen (wie z.B. Röntgendoppelsterne, kataklysmische Variable oder Sterne mit aktiver Korona) zurückzuführen sei. Es war jedoch bis vor kurzem unmöglich, diese Hypothese einem kritischen Test zu unterziehen, da die Häufigkeit und die Leuchtkraftverteilung der relevanten Objekte nicht hinreichend genau bekannt waren. Andererseits blieben, trotz der sich ständig verbessernden Empfindlichkeit moderner Röntgenteleskope, auch alle bisherigen Versuche einer direkten Auflösung von diskreten Quellen ohne Erfolg. Kürzlich wurde beispielsweise mit den neuen Röntgenteleskopen CHANDRA und XMM-Newton (untere Flußgrenze ~ 3 x 10-15 erg s-1 cm-2) Langzeitbeobachtungen durchgeführt, die sich auf ausgewählte Bereiche der Milchstraßenebene konzentrierten. Dabei wurde lediglich eine Auflösung von ca. 10-15% der Objekte, die die Röntgenstrahlung aus der Milchstraßenebene verursachen, erzielt, wobei noch ein signifikanter Anteil der aufgenommenen Strahlung extragalaktischen Quellen zuzuordnen ist. Der relativ geringe Beitrag auflösbarer galaktischer Röntgenquellen wird von einigen Forschern als ein Beweis dafür angesehen, dass die Strahlung tatsächlich einen diffusen Ursprung besitzt. Allerdings lassen sich auch gegen diese Hypothese starke Einwände erheben. Der Hauptpunkt ist, dass das Spektrum thermisch ist, was impliziert, dass das emittierende Plasma eine sehr hohe Temperatur besitzt (~ 5-10 keV). Aus einer derart heißen, diffusen Plasmawolke in der galaktischen Ebene würde ständig Materie in die umgebenden kälteren Gebiete abfließen. Es wäre demnach eine unwahrscheinlich hohe, ständige Energie- und Materiezufuhr notwendig, um ein solches Hochtemperaturplasma dauerhaft zu erhalten.

Um nun den tatsächlichen Ursprung der in der Milchstraßenebene konzentrierten Röntgenstrahlung (GRXE) zu verstehen, studierten wir mit zuvor noch nicht erreichter Genauigkeit die räumliche Verteilung, indem wir eine detaillierte „Karte” für Energien im Bandbereich 3-20 keV erstellten. Zu diesem Zweck wurden archivierte Beobachtungsdaten vom PCA-Spektrometer des Satelliten RXTE ( engl. Rossi X-ray Timing Explorer) benutzt (siehe Abb. 1). Die so erhaltene Karte zeigt erstmals klar die Aufteilung in eine scheibenartige sowie eine zentrale vertikal verbreiterte Komponente. Die räumliche Anordnung der beiden Komponenten ähnelt stark der bekannten Aufteilung der Milchstraße in eine flache Scheibe gebildet aus Sternen, überlagert mit einem zentralen kugelförmig ausgedehntem Gebiet. Die aus den GRXE-Daten abgeleiteten geometrischen Parameter für die beiden räumlich verschieden verteilten Komponenten stimmen genau mit den bereits (aus Nahinfrarotaufnahmen) bekannten Parametern für die entsprechenden stellaren Komponenten überein. Daraus folgt, dass die scheinbar diffuse Emission aus der Milchstraßenebene eng mit der stellaren Population unserer Galaxie in Verbindung steht, was wiederum nahe legt, dass sich die Röntgenstrahlung in Punktquellen auflösen lassen sollte, entsprechend der Sternverteilung in der Milchstraße folgen.

Die beobachtete enge Korrelation zwischen Röntgenstrahlung aus der Milchstraßenebene und der Emission von Sternen ermöglicht eine Abschätzung der im Bereich 3-20 keV emittierten Röntgenstrahlung pro stellarer Massenheit in unserer Galaxie: (3.5±0.5) x 1027 erg s -1 M-1 (mit M_(Sonnenmasse) wird die Masse unserer Sonne bezeichnet). Falls es sich tatsächlich eine Überlagerung schwacher punktähnlicher Röntgenquellen handelt, sollte die beobachtete Röntgenstrahlung der Summe der Einzelbeiträge entsprechen. Der zweite Teil unserer Studie zielt deshalb darauf ab, die gesamte Strahlung von schwachen Röntgenquellen direkt aus den Daten auflösbarer lokaler Röntgenquellen zu bestimmen und anschließend mit der obigen Vorhersage zu vergleichen.

Um die Leuchtkraftverteilung L schwacher Röntgenquellen (Lx <10 34 erg s -1 in der Umgebung der Sonne (innerhalb ~1 kpc) zu bestimmen, benutzten wir wiederum Daten von systematischen Gesamthimmelsbeobachtungen des für unsere Untersuchungen relevanten Leuchtkraftintervals von RXTE/PCA (3-20 keV) und zusätzlich auch vom Röntgensatelliten ROSAT (0.1-2.4 keV). Für unsere Untersuchungen sind Beiträge verschiedener Klassen von Röntgenquellen relevant: Kataklysmische Veränderliche - dies sind engen Doppelsternsystemen mit einem Weißen Zwerg als Primärstern - dominieren oberhalb von ~ 1031 erg s-1. Dagegen stammen die Hauptbeiträge bei niedrigerer Leuchtkraft von Doppelsternen und einzelnen Sternen mit koronaler Aktivität. Die erhaltene Leuchtkraftverteilung umfasst einen breiten Bereich von 1027 bis zu 1034 erg s-1 (siehe Abb. 2). Die gesamte Strahlung dieser Sterne im Bereich von 3-20~keV kann abgeschätzt werden als (5.3 ± 1.5) x 10 27 erg s-1 M_(Sonnenmasse) -1. Die sehr gute Übereinstimmung dieses lokal ermittelten Wertes mit dem oben hergeleiteten Wert legt nahe, dass der Hauptanteil der Röntgenstrahlung aus der Milchstraßenebene auf die Emission von insgesamt Tausender kataklysmischer Veränderlicher sowie mehrerer Millionen Sterne mit koronaler Aktivität zurückzuführen ist. Es ist hierbei wichtig zu bemerken, dass diese Objekte eine relativ alte Sternpopulation repräsentieren; ihre Leuchtkraftfunktion sollte daher im Bereich der Milchstraße nur wenig variieren. Es könnten aber auch junge Sterne mit koronaler Aktivität einen nicht zu vernachlässigenden Beitrag liefern. Letztere produzieren (1.0 ± 0.2) x 1027 erg s-1 M_(Sonnenmasse)-1 in der Umgebung des Sonnensystems (dieser lokale Schätzwert könnte jedoch für die Gesamtgalaxie nicht repräsentativ sein).

Nachdem also eine gute Übereinstimmung zwischen der Emissivität (per stellarer Einheitsmasse) der gesamten Röntgenstrahlung aus der Milchstraßenebene und der lokalen kumulativen Emissivität schwacher Röntgenquellen gefunden wurde, kann man als Nächstes überprüfen, ob sich das beobachtete Spektrum der gesamten Röntgenstrahlung in konsistenter Weise als Überlagerung typischer Spektren der Einzelsterne darstellen lässt. Die Spektren sind verschieden:

Wie in Abbildung 3 gezeigt, besitzen kataklysmische Variable (magnetische und nicht magnetische Sterne dieser Klasse) viel härtere Spektren als Sterne mit koronaler Aktivität. Eine Superposition der entsprechenden Einzelspektren, ermittelt mit gewichteten relativen Beiträgen der verschiedenen Klassen zur lokalen Röntgenemissivität, ergibt erwartungsgemäß eine gute Übereinstimmung mit dem beobachten Spektrum der Röntgenstrahlung aus der Milchstraßenebene im Energieband 3-20 keV.

Für das Spektrum oberhalb von 20 keV kann benützt werden, dass im galaktischen Zentrum eine stark erhöhte Sternkonzentration auftritt. Die infrarote Helligkeit der Milchstraße ist innerhalb von 10 Bogenminuten um das galaktische Zentrum herum höher als in größerem Abstand. Dieser Helligkeitsanstieg spiegelt den so genannten nuklearen Sternhaufen wider. Da die Röntgenstrahlung eng der Helligkeit im nahinfraroten Bereich folgt, lässt sich auch dafür ein starker Anstieg in der Nähe des galaktischen Zentrums erwarten. In der Tat konnte ein derartiges Intensitätsmaximum durch den Röntgensatelliten CHANDRA nachgewiesen werden. Beobachtet man diesen Bereich durch ein Röntgenteleskop mit moderater Winkelauflösung, wie z. B. das Messinstrument IBIS an Bord des Röntgensatelliten INTEGRAL (mit einer Auflösung von 12 Bogenminuten), so erscheint das Maximum der Röntgenstrahlung als von einer punktähnlichen Quelle im Zentrum der Milchstraße. Da der Zentralbereich innerhalb von 30 pc (dies entspricht 12 Bogenminuten bei der Entfernung zum galaktischen Zentrum ) etwa eine Sternenmasse von ~ 108 M_(Sonnenmasse) enthält, erwartet man für diese Quelle eine 3-20 keV Leuchtkraft von ~ 4 x 1035 erg s-1 bzw. ~ 2 x 1035 erg s-1 im 20-60 keV Band. Diese Abschätzungen stimmen tatsächlich gut mit der Helligkeit überein, der von INTEGRAL/IBIS für die im galaktischen Zentrum befindliche „Punktquelle” IGR J17456-2901 gemessenen wurde. Das von INTEGRAL aufgenommene Spektrum zeigt signifikant weniger harte Strahlung im Bereich 20keV und kann somit als representativ für das Spektrum der Strahlung aus der Milchstraßenebene gelten.

Schließlich lässt sich mittels der Leuchtkraftfunktion für schwache Röntgenquellen noch folgende Vorhersage treffen: Um in zukünftigen Beobachtungen 90% der Strahlung aus
der Milchstraßenebene auflösen zu können, wird eine Empfindlichkeit herab bis zu ~10-16 erg s-1 cm-2 (2-10 keV) benötigt. Dieses Ziel könnte erreicht werden mit Beobachtung der Milchstraßenebene von CHANDRA über einen Zeitraum von einigen Wochen.

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