Das kosmische Netz zwischen Computermodell und Beobachtung
Forschungsbericht (importiert) 2024 - Max-Planck-Institut für Astrophysik
Die räumliche Verteilung von Galaxien im Universum zeigt eine komplexe, netzartige Struktur mit großen Galaxienhaufen an den Knotenpunkten, die von riesigen Leerräumen durchsetzt ist. Kosmologinnen und Kosmologen haben ein detailliertes Verständnis für die Entstehung dieses einem Schaumbad ähnelnden Netzes entwickelt. Während der Inflation – einer frühen Periode, in der sich das Universum besonders schnell ausdehnte – entstanden in der kosmischen Energiedichte winzige Schwankungen (Bereich von 1 zu 100.000), die anschließend durch ihre gravitative Anziehung wuchsen, während sich das Universum rasch ausdehnte und auch heute noch expandiert. In diesem Bild gibt es jedoch noch immer einige offene Fragen:

- Was ist die Dunkle Energie, welche die Ausdehnung des Alls beschleunigt?
- Woraus besteht die Dunkle Materie, die bisher nur durch ihre gravitativen Wechselwirkungen beobachtet wurde?
- Welche physikalischen Prinzipien stecken hinter der Inflation?
Dunkle Materie ist etwa fünfmal häufiger als gewöhnliche, sichtbare Materie. Die Allgemeine Relativitätstheorie erfordert, dass sichtbare und Dunkle Materie die gleichen Gravitationskräfte erfahren, daher lässt sich die Entwicklung von Schwankungen in der Dichte der Dunklen Materie sehr genau vorhersagen. Diese Entwicklung hängt vom genauen Zusammenspiel zwischen der Gravitation und der Ausdehnung des Universums ab. So liefern großskalige kosmologische Strukturen wichtige Hinweise auf die fundamentalen Fragen zur Natur des Weltalls. Moderne Teleskope kartieren die Verteilung von Galaxien bis zu sehr großen Entfernungen. Doch diese Galaxien bilden nur die Spitze des Eisbergs, denn die meisten Strukturen bestehen aus Dunkler Materie und bleiben unsichtbar.
Gibt es einen Weg, um aus den beobachteten Positionen von Galaxien auf die Verteilung der Dunklen Materie zu schließen? Können wir verstehen, wie die Strukturen, die wir heute sehen, entstanden sind? Und kann uns dies dabei helfen, die grundlegenden Fragen, die wir an den Kosmos haben, besser zu beantworten?
Zunächst folgen Galaxien nicht eins zu eins der Verteilung von Materie. Wir beobachten nur eine begrenzte Anzahl von ihnen, und Messunsicherheiten beeinflussen die Beobachtungen. Daher gibt es nicht eine einzige Materieverteilung, welche die beobachteten Galaxien erklärt, sondern mehrere. Eine statistische Bayes-Analyse kann solche Unsicherheiten erfassen. Dazu generieren wir eine Vielzahl an plausiblen Materieverteilungen, bewerten ihre Übereinstimmung mit den Beobachtungen und berücksichtigen nur diejenigen mit dem höchsten Maß an Konsistenz.
Um die Beziehung zwischen Galaxien und der zugrundeliegenden Materiedichte zu beschreiben, verwenden wir eine sogenannte Effektive Feld-Theorie (EFT). Eine Reihe von freien Parametern in dieser Theorie machen unsere Ergebnisse unabhängig von den Details der Galaxienbildung auf kleinen Skalen. Darüber hinaus liefert die Theorie eine Wahrscheinlichkeit, die das Maß der Übereinstimmung zwischen einer vorgeschlagenen Materieverteilung und den beobachteten Galaxien quantifiziert. Da der Vergleich auf der Basis von Voxel (3D-Pixel) erfolgt, wird der Ansatz auch als Dichtefeld-Analyse bezeichnet.
Eine weitere Herausforderung besteht darin zu begreifen, was eine plausible Materieverteilung ausmacht. Die Strukturen im heutigen Universum sind das Ergebnis einer komplexen dynamischen Entwicklung. Sie entstanden jedoch aus einer einfacheren Verteilung, deren statistische Eigenschaften gut verstanden sind. Daher können wir verschiedene Möglichkeiten für die ursprüngliche Dichte betrachten, ihre Entwicklung im Laufe der Zeit berechnen und diese Vorhersage mit der Beobachtung vergleichen. Wir wiederholen diesen Vorgang immer wieder, um jene Konfigurationen zu identifizieren, welche die Daten am besten erklären, und um auf diese Weise alle möglichen Lösungen zu erforschen.
Video: Dichtefeld-Analyse
Jede mögliche Realisierung der dreidimensionalen Anfangsbedingungen wird durch bis zu eine Million Parameter charakterisiert; dazu gibt es zu jeder Realisierung die vollständige Geschichte der Strukturbildung. Um diesen riesigen Bereich an Möglichkeiten effizient zu erkunden, haben wir einen numerischen Code namens LEFTfield entwickelt. Dieser ist stark parallelisiert, kann Gradienten berechnen und läuft üblicherweise in einem Rechenzentrum. Mit LEFTfield können wir plausible Anfangsbedingungen und ihre zeitliche Entwicklung in nur wenigen Sekunden berechnen.
Wie kann diese Analyse die eingangs gestellten Fragen beantworten? Die Eigenschaften der Dunklen Materie und Dunklen Energie sind Teil unseres Rechenmodells für die Strukturbildung. Wir können diese Parameter verändern und beobachten, wie sie sich auf die Übereinstimmung zwischen Modell und echten Daten auswirken. Zum Beispiel führt eine Änderung in der Menge oder der Zeitentwicklung der Dunklen Energie zu verschiedenen Ausdehnungsgeschwindigkeiten für das Universum. Dies wiederum beeinflusst das Wachstum von kosmischen Strukturen. Der Vergleich ermöglicht es uns daher, wichtige Parameter der Dunklen Materie und Dunklen Energie zu messen.
Die Dichtefeld-Analyse extrahiert alle verfügbaren Informationen aus der großräumigen Galaxienverteilung. Letztlich ist unser Ziel, dadurch eine deutlich genauere Messung der Dunklen Materie und der Dunklen Energie als mit bisherigen Methoden zu erreichen. Nach dem heutigen Stand der Technik werden die Daten zunächst komprimiert (man berechnet etwa die Varianz von Fluktuationen als Funktion der Skala) und in dieser Form mit den theoretischen Vorhersagen verglichen. Der Ansatz folgt der gesamten Strukturentwicklung und hat den Vorteil, dass sich auch beobachtungsbezogene und instrumentelle Einflüsse im Rechenmodell beschreiben lassen. So beeinflusst zum Beispiel die Eigenbewegung von Galaxien ihre beobachtete Entfernung oder Rotverschiebung. Dieser Effekt ermöglicht es sogar, zusätzliche Informationen aus den kosmologischen Strukturen zu gewinnen, da die Geschwindigkeit der Galaxien direkt mit ihrem Wachstum zusammenhängt.
Wir setzen die Entwicklung der Dichtefeld-Analyse fort, um sie auf die neuesten kosmologischen Datensätze anwenden zu können. Dadurch wollen wir die Dunkle Materie und Dunkle Energie besser verstehen. Kürzlich haben wir einen Vergleich verschiedener Ansätze durchgeführt. Ergebnis: Die Dichtefeld-Analyse liefert tatsächlich genauere Messungen als etablierte Ansätze.