Wie entstehen Sternhaufen in Zwerggalaxien?

1. Dezember 2021

Im interstellaren Medium (ISM) von Galaxien bilden sich neue Sterne in kleinen Gruppen von wenigen hundert und Haufen mit bis zu mehreren Millionen Sternen. Theoretische Modelle, die diesen Prozess und seine Auswirkung auf die Galaxienentwicklung erklären können, stecken noch in den Kinderschuhen. Forschende am MPA und ihre Kollegen haben ein hochkomplexes Modell entwickelt, um die verschiedenen Phasen des ISM und die Entstehung von Sternhaufen zu simulieren. Diese Supercomputersimulationen zeigen, dass ihre Eigenschaften davon abhängen, wie effizient sich Sterne aus dem kalten dichten Gas bilden können. Eine detaillierte Aufbereitung der Simulationsdaten erlaubt einen direkten Vergleich mit direkten Beobachtungen. Dieser Vergleich zeigt Erfolge des theoretischen Modells aber auch seine Grenzen auf. Er erlaubt auch Aussagen über die Genauigkeit, mit der Eigenschaften in dichten Sternhaufen aus Beobachtungen abgeleitet werden können. Die Studien sind ein großer Schritt hin zu einem umfassenden Modell der Entstehung von Sternhaufen.

Beobachtungen von Galaxien zeigen, dass sich Sterne in kollabierenden Gaswolken bevorzugt in Gruppen (‚cluster‘) bilden. Mit herkömmlichen Galaxiensimulationen kann man diesen Prozess nicht untersuchen. Die Entstehung und interne Struktur von Sternhaufen kann nicht aufgelöst werden. Hierzu benötigt man höher aufgelöste Simulationen mit numerischen Werkzeugen, die wichtige astrophysikalische Prozesse auf kleinen Skalen berechnen können. Mit dem GRIFFIN-Projekt versuchen Forschende die Sternhaufenentstehung (siehe auch das Highlight vom Oktober 2019) besser zu verstehen.

Das Forschungsteam hat numerische Modelle für komplexe Heiz- und Kühlprozesse sowie chemische Umwandlungsprozesse im ISM von Galaxien implementiert. Neugeformte massereiche Sterne können mit ihrer photo-ionisierenden Strahlung und Supernova-Explosionen das interstellare Medium beeinflussen. Solche Modelle sind die Voraussetzung, um die Sternenhaufenentstehung auf sub-Parsec Skalen zu simulieren. Das Team hat eine Reihe von Simulationen realistischer Zwerggalaxien und deren Verschmelzungen auf den Supercomputern des MPCDF und SuperMUC-NG des Leibniz-Rechenzentrums ausgeführt, die die Basis für diese Studien bilden.

Rundumansicht der simulierten Starburst-Galaxie

360°-Ansicht der Starburst-Zwerggalaxie, wie man sie in 10 Mpc Entfernung in den B-, V- und I-Bändern mit der Auflösung von HST beobachten könnte. Während des Starbursts bilden sich viele gebundene Sternhaufen. Die ersten massereichen Haufen blähen eine Supernova-Superblase auf, die in der zentralen Region des Systems zu sehen ist. Mehrere Haufen – vor allem in Regionen mit intensivster Sternentstehung – sind in einigen der Projektionen durch Staub verdeckt.
 

Der Effekt der Sternentstehungseffizienz auf die Eigenschaften von Sternhaufen

Das Ziel einer Studie unter der Leitung von Jessica May Hislop am MPA ist ein besseres Verständnis dafür, welche physikalischen Prozesse die Entstehung, Massen und Größen von Sternhaufen in Zwerggalaxien regulieren. Die Entstehung einzelner Sterne durch den Kollaps von Gaswolken bis zu tatsächlich stellaren Dichten kann in solchen Simulationen allerdings nicht aufgelöst werden. Statt dessen wird ein Parameter verwendet, der beschreibt, wie viele Sterne sich in der Kollapszeit von Molekülwolken bilden können. Diese sogenannte Sternentstehungseffizienz wird verwendet, um Prozesse auf kleinen Skalen zu beschreiben. Sie kontrolliert bei welcher typischen Dichte die gebildeten Sterne damit beginnen, die sie umgebende Geburtswolke aufzulösen. Diesen Prozess nennt man „stellar feedback“.

Alle untersuchten Modelle für einzelne Zwerggalaxien bilden ihre Sterne mit ähnlichen Raten und die Steigung der Sternhaufen-Massenfunktionen stimmt gut mit Beobachtungen überein. Der Anteil von Sternen, die sich in Haufen bilden und die Eigenschaften der Haufen unterscheiden sich allerdings deutlich. In Modellen mit einer niedrigen Effizienz (e.g. 0.2 %) können die Gaswolken in kleinere Regionen mit sehr hoher Dichte kollabieren. Für entstehende Sterne wird es dann sehr schwer ihre Geburtswolke durch Feedback-Prozesse zu zerstören und weitere Sternentstehung zu verhindern. Die Zerstörung der Wolken wird einfacher in Modellen mit hoher Sternenstehungseffizienz bei der sich Sterne in einem früheren Stadium des Kollapses bilden. Dabei entstehen weniger Sternhaufen, die ausgedehnter sind und niedrigere Massen haben. Keines der Modelle kann jedoch alle Eigenschaften beobachteter Sternhaufen reproduzieren (siehe auch Abb. 2). Diese Diskrepanz motiviert die weitere Entwicklung von immer genaueren Modellen zur Entstehung von Sternhaufen in Supercomputersimulationen.

Die Beobachtung von simulierten Sternhaufen bei verschiedenen Wellenlängen

Unterschiede zwischen simulierten und beobachteten Sternhaufen sind nicht nur durch die Simulationsmodelle bedingt. Die Empfindlichkeit, räumliche und spektrale Auflösung sowie das Rauschen in Beobachtungsdaten kann die zugrundeliegenden physikalischen Eigenschaften verzerren. Eine Studie unter der Leitung von Natalia Lahén (MPA) untersucht diesen Effekt auf die Bestimmung der Massenfunktion, mit der sich Sternhaufen bilden. Die physikalische Überlagerung von Sternen als Strahlungsquellen stellt die Beobachter hier vor besondere Herausforderungen, insbesondere in Regionen mir hoher Sternentstehungsaktivität und bei Entfernungen jenseits der Lokalen Gruppe. Eine Simulation von zwei verschmelzenden Galaxien mit dem oben beschriebenen Modell wurde verwendet, um eine „beobachtbare“ hochaktive Zwerggalaxie zu erzeugen. Hierzu wurde der Strahlungstransportcode SKIRT verwendet, um das System im Wellenlängenbereich von UV bis zur Infrarotemission des Staubes darzustellen. Die gute Übereinstimmung mit beobachteten Zwerggalaxien unterstützt die wissenschaftliche Genauigkeit des Simulationsmodells (siehe Abb. 3).

Viele Sternentstehungsstudien, insbesondere mit dem Hubble-Weltraumteleskop (HST) basieren auf photometrischen Untersuchungen bei sichtbaren Wellenlängen (z.B. V-Band). Hierbei werden einzelne Sternhaufen detektiert und ihre Eigenschaften wie Masse, Größe und Alter innerhalb kreisförmiger Regionen (Aperturen) mit automatisierten Algorithmen bestimmt. Abb. 4 zeigt eine V-Band Aufnahme der simulierten Galaxie bei zwei verschiedenen Entfernungen mit den Augen des HST. Diese Ergebnisse deuten darauf hin, dass Haufen echter, beobachteter Haufen mit einigen Millionen Sonnenmassen mehr als doppelt so schwer eingeschätzt werden als sie in Wirklichkeit sind. Auch die Massenfunktion kann steiler sein, als von den Beobachtungen abgeleitet.

Diese zwei Studien zeigen, wie moderne hochleistungsfähige Computersimulation dabei helfen wichtige astrophysikalische Prozesse zu entschlüsseln, die die Entstehung von Sternhaufen regulieren. Sie heben auch hervor, wie wichtig es ist, theoretische Modelle durch genaue Vergleiche mit Beobachtungen zu bewerten. Dieser gemeinsame Ansatz wird den Weg zu einem modernen, umfassenden Modell zur Sternhaufenentstehung ebnen.

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