Sterne beeinflussen zentrale Verteilung der Dunklen Materie in Galaxienhaufen

1. November 2014

Dunkle Materie ist ein zentraler Baustein für unser Verständnis der Physik des frühen Universums, der großräumigen Strukturen im Kosmos und der Galaxienentstehung. In ihrer einfachsten Form besteht "kalte dunkle Materie" aus nicht-relativistischen, schwach wechselwirkenden Teilchen, die nicht im Standardmodell der Teilchenphysik enthalten sind. Auf astrophysikalischen Skalen interagiert dunkle Materie mit Baryonen (gewöhnlicher Materie) allein durch die Schwerkraft. Aufgrund der einfachen physikalischen Gesetze, die diese Wechselwirkung beschreiben, kann man der Dynamik und der fortlaufenden Konzentration der dunklen Materie mit Hilfe von N-Körper-Simulationen folgen. Vor kurzem haben Wissenschaftler am MPA mit kosmologischen N-Körper-Simulationen zeigen können, dass die Verschmelzung von Galaxien (mit Sternen *und* Dunkler Materie) im Zentrum von Galaxienhaufen die zentrale Verteilung der Dunklen Materie derart verändern kann, dass die jüngsten Unstimmigkeiten, die zwischen Beobachtungen und Simulationen gefunden wurden, abgemildert werden.

Der kosmische Mikrowellenhintergrund liefert wichtige Informationen darüber, wie die Dunkle Materie im frühen Universum verteilt war. Kosmologische N-Körper-Simulationen können dazu verwendet werden um zu verfolgen, wie sich diese Verteilung mit der Zeit entwickelt und schließlich zu dem heutigen kosmischen Netz aus Hohlräumen und Filamenten wird, samt den Halos, in denen die Galaxien entstanden. Eine wichtige Aufgabe besteht darin die interne Struktur dieser Halos zu charakterisieren, sowohl theoretisch als auch durch Beobachtungen, da dies nicht nur Informationen über die Natur der dunklen Materie liefert sondern auch über die Art und Weise, wie Galaxien entstehen und sich entwickeln. Bereits in den 1990er Jahren waren kosmologische N-Körper-Simulationen in der Lage, die Dichteprofile von Halos aus dunkler Materie zu charakterisieren. Diese zeigten, dass in guter Näherung alle Dichteprofile eine universelle Form haben, von Zwerggalaxien bis hin zu Galaxienhaufen. Der physikalische Ursprung dieses universellen Profils bleibt bis heute rätselhaft. Die moderne Astronomie hat daher die Aufgabe, die Verteilung der Dunklen Materie in Galaxien zu untersuchen, um diese Vorhersage des Standard-LCDM-Modells für die Halo-Struktur testen zu können.

Galaxienhaufen stehen im Zentrum des Interesses um dunkle Materie zu untersuchen, da sie für die Astronomen die größte Anzahl an unabhängigen Sonden bereitstellen, um die Halo-Struktur zu bestimmen (stellare Kinematik, starke Gravitationslinsen, schwache Gravitationslinsen, Röntgenemission von heißem Gas, Galaxienbewegungen). Dies trägt erheblich dazu bei, robuste und präzise Ergebnisse zu erhalten, mit denen man das Profil der Gesamtmasse ziemlich genau abschätzen kann. Jüngste Beobachtungen von Galaxienhaufen und ihren zentralen Galaxien (Brightest Cluster Galaxies oder BCGs) kombinierten verschiedene dieser Sonden und kamen dabei zu dem überraschenden Ergebnis, dass das Dichteprofil der gesamten Masse im Galaxienhaufen gut durch das "universelle" Profil beschrieben wird, das in kosmologischen Simulationen mit nur dunkler Materie gefunden wurde . Ihre Profile der dunklen Materie, allerdings, sind in den innersten Bereichen (innerhalb der sichtbaren BCG) systematisch flacher.

Wenn Gas abkühlt und im Innern eines dunklen Materie-Halos kondensiert und dort beginnt Sterne zu bilden, so sollte man aufgrund von einfachen Argumenten annehmen, dass die Dunkle Materie nach innen gezogen wird und damit ihr Dichteprofil steiler wird. Auch wenn dies den Beobachtungen zu widersprechen scheint, ist das nicht die ganze Geschichte für BCGs, weil ihr Wachstum viel komplizierter sein kann als das von typischen Galaxien. So wurde in den 1970er Jahren vorgeschlagen, dass die BCGs durch mehrere Verschmelzungen von bereits bestehenden Galaxien wachsen, die bevorzugt in den Zentren der Galaxienhaufen auftreten. Dieser Vorschlag scheint von den aktuellen detaillierten Simulationen der Entstehung von Galaxien und Galaxienhaufen im Rahmen des LCDM-Modells gestützt zu werden. Allerdings haben bisherige Arbeiten nicht untersucht, ob dieses Bild die beobachtete strukturelle Entwicklung der BCGs im Detail erklären kann (z.B. ihre Sternmassen, Größen, Formen, Oberflächenhelligkeitsprofile und Anteil an Dunkler Materie, alle als Funktion der Rotverschiebung). Vor einem Jahr lieferte ein Team von Wissenschaftlern am MPA und den Nationalen Astronomischen Observatorien in China weitere Unterstützung für diesen Wachstumspfad durch den Vergleich von Beobachtungen bei niedrigen und hohen Rotverschiebung. Dabei nutzten sie ausgefeilten Methoden, um die Sterne auf kosmologische N-Körper Simulationen mit dunkler Materie für die Entstehung von Galaxienhaufen "aufzusetzen".

In jüngerer Zeit führten MPA-Wissenschaftler neue N-Körper-Simulationen durch, die explizit die Entwicklung von Sternen und Dunkler Materie in Galaxienhaufen gleichzeitig selbstkonsistent verfolgten. Der Startpunkt für diese hochauflösenden Simulationen war eine Verteilung der dunklen Materie im Einklang mit LCDM-Erwartungen und eine Galaxien-Population, die mit der beobachteten in einem Universum bei z~2 (ca. 3 Milliarden Jahre nach dem Urknall) übereinstimmt. Die Simulationen folgten der Entwicklung dann bis heute. Dies erforderte eine neue Beschreibung um Galaxien im Gleichgewicht mit einer vorgegebenen Struktur in die Halos aus dunkler Materie einzufügen, die sich bereits in einer kosmologischen Simulation gebildet hatten. Gleichzeitig musste die Kontraktion der Dunklen Materie Halos aufgrund der Baryon-Kondensation in ihren Zentren nachgeahmt werden.

Während frühere Schlussfolgerungen über die Entwicklung der BCGs Bestand hatten, zeigten die neuen Simulationen auch, dass sich die zentral Masse in erheblichem Maß aufgrund der Verschmelzungen umverteilt. Am Ende der Simulation, also heute, hatte die Mischung aus dunkler und stellarer Materie in den BCGs das gleiche Dichteprofil für die Gesamtmasse, das bei Testsimulationen gefunden wurde, die nur dunkle Materie allein enthalten hatten. Dies zeigt, dass die Entwicklung dazu neigt, das Gesamtmasse-Dichteprofil (Sterne und Dunkle Materie) in die "universelle" Form zu bringen. Da die Sterne den Großteil ihrer Masse in der Mitte der BCG beitragen, bedeutet dies, dass das Dichteprofile für die dunkle Materie eigentlich weniger zentral konzentriert war als in den Simulationen mit allein dunkler Materie, auch wenn diese in den ursprünglichen Galaxien anfangs stärker konzentriert waren. Im Ergebnis haben die simulierten BCGs dunkle Materie-Profile, die mit den durch Beobachtungen abgeleiteten übereinstimmen.

Die simulierten BCGs erlebten typischerweise 6 oder 7 Verschmelzungen - in echten Galaxien wären diese von einer Verschmelzung der zentralen supermassereichen Schwarzen Löcher begleitet. Derartige Verschmelzungen pumpen Energie in die innersten Regionen, wodurch sich die Sterne und dunkle Materie nach außen bewegen. Erste Abschätzungen der Größe dieses Effekts auf der Basis der Simulationen zeigen, dass dies möglicherweise die großen stellaren Kerne erklären kann, die häufig bei BCGs beobachtet werden. Bisher können die Auswirkungen von supermassereichen Schwarzen Löchern in BCGs nicht direkt in einem kosmologischen Kontext simuliert werden. Die aktuellen Simulationen bieten nun aber realistische Anfangsbedingungen für vereinfachte numerische Untersuchungen zur Verschmelzung von supermassereichen Schwarzen Löchern in den Zentren der BCGs.

Die aktuelle Studie legt nahe, dass Beobachtungen von Massenverteilungen in den Zentren von Galaxienhaufen erklärt werden können, wenn die Entwicklung der BCG hauptsächlich durch Verlust-freie Verschmelzungen angetrieben wird. Innerhalb des Standard-LCDM-Modells erklärt ein solcher Entwicklungspfad ganz natürlich das Dichteprofil der Gesamtmasse (ähnlich dem, das bei Simulationen mit nur dunkler Materie gefunden wurde) zusammen mit einem flacheren Dichteprofil für die dunkle Materie. Es scheint daher keine Notwendigkeit für radikalere Erklärungen zu geben, die in einigen neueren Arbeiten vorgeschlagen wurden, wie neue Physik für die dunkle Materie oder dynamische Effekte, angetrieben durch Sternentstehung und schwarze Löcher, die viel heftiger sind, als alle beobachteten.

Chervin Laporte and Simon White

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