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  Turbulente Geburt von Neutronensternen

Turbulente Geburt von Neutronensternen

Mit den bislang aufwändigsten Computersimulationen gelang es Forschern am Max-Planck-Institut für Astrophysik, die komplizierten Vorgänge bei der Entstehung von Neutronensternen im Zentrum kollabierender Sterne mit zuvor nicht erreichter Genauigkeit zu berechnen. Diese weltweit ersten dreidimensionalen Modelle mit einer detaillierten Behandlung aller wichtigen physikalischen Effekte bestätigen, dass extrem heftige, stark asymmetrische Schwipp-Schwapp- und Drehbewegungen der stellaren Materie auftreten. Damit stützen die Ergebnisse der Simulationen grundsätzliche Vorstellungen über die dynamischen Prozesse, wenn ein Stern als Supernova explodiert.

Abb. 1: Das Team am MPA nutzt für seine Simulationen Supercomputer, die zu den leistungsstärksten der Welt gehören.
(a) CURIE des TGCC-CEA Rechenzentrums mit 77.184 Prozessorkernen und einer nominellen Maximalleistung von 1,667 Petaflop/s (1 Petaflop = 1 Billiarde Flops).
(Bildrechte: GENCI/TGCC-CEA)
(b) SuperMUC des Leibniz-Rechenzentrums mit über 155.000 Prozessorkernen und einer nominellen Maximalleistung von mehr als 3 Petaflop/s.
(Bildrechte: LRZ 2012).

Abb. 2: Turbulente Entwicklung eines Neutronensterns zu sechs Zeitpunkten (0,154, 0,223, 0,240, 0,245, 0,249 und 0,278 Sekunden) nach Beginn der Neutronensternbildung in einer dreidimensionalen Computersimulation. In charakteristischen pilzartigen Blasen "kocht" neutrinogeheiztes Gas, während die "SASI" Instabilität gleichzeitig wilde Pulsationen und Drehbewegungen der gesamten geheizten Materieschicht (rot) und der einhüllenden Supernovastoßwelle (blau) verursacht ( linkPfeil.gifsiehe Film).
(Visualisierung in Bildern und Film durch Elena Erastova und Markus Rampp, RZG)

Abb. 3: Das "SWASI" Experiment veranschaulicht die dynamischen Vorgänge im Supernovainnern anhand eines kreisförmigen Wasserflusses, der sich aus einem ringförmigen Reservoir speist, über eine gekrümmte Ebene radial auf ein zentrales Rohr zubewegt und dort abströmt (Abb. a). Vom Rohr her bildet sich ein Rückstau, der zu einem Sprung der Wasserhöhe führt. Das Wasser entspricht dem kollabierenden Gas im Supernovakern, das Rohr dem Materie aufsammelnden Neutronenstern und die Wasserstufe dem im stellaren Kern verharrenden Supernovastoß. Unter idealen Bedingungen bleibt die Wasserstufe nahezu kreisrund (Abb. b, linkPfeil.gifFilm).
Wird der Wasserfluss erhöht, kommt es zu einer Brechung der Symmetrie, wenn in einer Instabilität kleine Störungen oszillierend anwachsen und zu starken Schwipp-Schwapp-Bewegungen der gesamten, von der Wasserstufe umschlossenen Region (Abb. c, linkPfeil.gifFilm)
oder sogar zu Drehbewegungen (Abb. d, linkPfeil.gifFilm)
führen. Dieses "SWASI" Phänomen ist physikalisch analog zu der in der Supernova auftretenden SASI Instabilität, allerdings eine Million Mal kleiner und rund hundertmal langsamer.
(Bild- und Filmrechte: Thierry Foglizzo, Laboratoire AIM Paris-Saclay, CEA)

Sterne mit mehr als der acht- bis zehnfachen Masse unserer Sonne beenden ihr Leben in einer gewaltigen Explosion, bei der das stellare Gas mit ungeheurer Wucht in den umgebenden Raum geschleudert wird. Solche Supernovaexplosionen gehören zu den energiereichsten und hellsten Phänomenen im Universum und können für Wochen die Strahlkraft einer ganzen Galaxie erreichen. Sie sind der kosmische Ursprungsort chemischer Elemente wie Kohlenstoff, Sauerstoff, Silizium und Eisen, aus denen unsere Erde und unser Körper bestehen, und welche in schweren Sternen über Jahrmillionen erbrütet oder bei der Sternexplosion frisch erzeugt werden.

Supernovae sind aber auch die Geburtsstätten von Neutronensternen, jener höchst exotischen, kompakten Sternleichen, in denen rund die eineinhalbfache Masse der Sonne auf die Größe einer Kugel mit dem Durchmesser Münchens zusammengequetscht wird. Dies geschieht in Bruchteilen einer Sekunde, wenn der stellare Kern unter dem Einfluss der eigenen Schwerkraft in sich zusammenbricht und seine katastrophale Implosion erst dann abstoppt, wenn die Dichte von Atomkernmaterie - gigantische 300 Millionen Tonnen im Volumen eines Zuckerwürfels - überschritten wird.

Aber was verursacht den Supernovaausbruch des Sterns? Wie kommt es zur Umkehr seiner Implosion zu einer Explosion? Die genauen Vorgänge, die sich hierbei abspielen, sind immer noch Gegenstand intensiver Forschung. Neutrinos, mysteriöse Elementarteilchen, die bei den extremen Temperaturen und Dichten im kollabierenden stellaren Kern und entstehenden Neutronenstern in riesiger Zahl erzeugt und abgestrahlt werden, sind der gängigsten Vorstellung zufolge daran entscheidend beteiligt. Wie die Wärmestrahlung eines heißen Heizkörpers heizt die Neutrinostrahlung das den heißen Neutronenstern umgebende stellare Gas und könnte so die Explosion des Sterns "zünden". Nach dieser Vorstellung würden die Neutrinos so lange Energie ins stellare Gas pumpen und Druck aufbauen, bis eine Stoßwelle linkPfeil.gifden Stern in einer Supernova zerreißt. Doch funktioniert dieses theoretische Modell? Ist dies die Erklärung für den immer noch rätselhaften Mechanismus hinter der Sternexplosion?

Leider (oder zum Glück!) lassen sich die Prozesse im Zentrum explodierender Sterne weder im Labor nachmachen, noch kann man sie im tiefen Innern des Sterns, verborgen von vielen Sonnenmassen dichten stellaren Gases, direkt beobachten. Die Forschung ist daher auf extrem aufwändige Computermodelle angewiesen, in denen die komplizierten mathematischen Gleichungen gelöst werden, mit denen die Bewegung des Sterngases und die Physik bei den extremen Temperaturen und Dichten im kollabierenden stellaren Kern beschrieben werden. Dazu werden die leistungsstärksten existierenden Supercomputer eingesetzt, und dennoch konnten bis vor kurzem solche Berechnungen nur mit groben Vereinfachungen durchgeführt werden. Wollte man zum Beipiel die entscheidenden Effekte der Neutrinos genau berechnen, konnte dies bestenfalls in zwei Raumdimensionen geschehen, was bedeutet, dass für den Stern in den Computermodellen linkPfeil.gifeine künstliche Rotationssymmetrie um eine Achse angenommen wurde.

Mit einem durch Unterstützung von Experten am Rechenzentrum Garching (linkPfeilExtern.gifRZG) verbesserten, besonders effizienten und schnellen Computerprogramm, den leistungsstärksten verfügbaren Supercomputern und einer Rechenzeit von rund 150 Millionen Prozessorstunden, dem größten jemals von der "Partnership for Advanced Computing in Europe (linkPfeilExtern.gifPRACE)" Initiative der Europäischen Union vergebenen Kontingent, konnte ein Team von Forschern am Max-Planck-Institut für Astrophysik (MPA) in Garching die Abläufe in kollabierenden Sternen nun erstmals in den drei natürlichen Raumdimensionen im Detail simulieren.

"Dabei benutzten wir fast 16.000 Prozessorkerne im Parallelbetrieb, und dennoch benötigte eine einzige Modellrechnung rund 4,5 Monate", sagt der Doktorand Florian Hanke, der die Simulationen durchführte. Nur zwei Rechenzentren in Europa konnten hierfür hinreichend leistungsfähige Supercomputer für so lange Zeiträume zur Verfügung stellen, nämlich die Rechner CURIE am Très Grand Centre de calcul (linkPfeilExtern.gifTGCC) du CEA bei Paris (Abb. 1a) und SuperMUC am Leibniz-Rechenzentrum (linkPfeilExtern.gifLRZ) in München/Garching (Abb. 1b).

Was sich dabei nach Auswertung und Visualisierung der produzierten vielen Terabytes (1 Terabyte entspricht einer Billion Bytes) von Zahlenkolonnen den Forschern offenbarte, versetzte das Team in Staunen und Aufregung. Das stellare Gas zeigt nicht nur das durch die Neutrinoheizung erwartete wilde Brodeln und Blubbern mit den dafür typischen aufsteigenden Blasen, ähnlich wie bei sprudelnd kochendem Wasser. (Dieser Vorgang wird als "Konvektion" bezeichnet.) Die Wissenschaftler sahen im Sterninneren zusätzlich auch heftige, große Schwipp-Schwapp-Bewegungen, die zeitweise sogar in schnelle, kraftvolle Rotationsbewegungen übergehen (Abb. 2, Film). Ein solches Verhalten war zwar vorher bereits bekannt und hatte die Bezeichung "Akkretionsstoßinstabilität" (oder "SASI" vom englischen "Standing Accretion Shock Instability") erhalten. Diese Bezeichnung soll ausdrücken, dass die Supernovastoßwelle nicht kugelförmig bleibt, sondern starke, pulsierende Asymmetrien ausbildet, die aus kleinen Störungen oszillierend anwachsen. Dies war aber bislang nur in vereinfachten und unvollständigen Modellrechnungen beobachtet worden.

"Mein Kollege Thierry Foglizzo am Forschungsinstitut linkPfeilExtern.gifService d' Astrophysique des CEA-Saclay bei Paris hat ein genaues Verständnis der Wachstumsbedingungen dieser Instabilität entwickelt", erklärt Hans-Thomas Janka, der Leiter der Forschergruppe. "Er hat ein Experiment konstruiert, in dem bei einem Sprung der Wasserhöhe in einem kreisförmigen Wasserfluss pulsierende Asymmetrien auftreten, ganz analog zur Stoßwelle im kollabierenden Materiestrom um das Supernovazentrum." Anhand dieses "SWASI" ("Shallow Water Analogue of Shock Instability") genannten Phänomens lassen sich dynamische Vorgänge im tiefen Innern eines sterbenden Sterns in vereinfachter Form anhand eines preiswerten Tischexperiments nachvollziehen (Abb. 3), freilich ohne die wichtigen Effekte des Neutrinoheizens. Daher zweifelten viele Wissenschaftler trotzdem am Auftreten dieser Instabilität im Innern von kollabierenden Sternen.

Die Garchinger Forschergruppe konnte nun erstmals zweifelsfrei zeigen, dass die Instabilität auch in den bislang realistischsten Computermodellen eine bedeutende Rolle spielt. "Sie dirigiert nicht nur die Materiebewegungen im Supernovakern, sie prägt dadurch auch den Neutrino- und Gravitationswellensignalen, die bei einer galaktischen Supernova beobachtet werden, charakteristische Signaturen auf. Außerdem macht sie die Sternexplosion extrem asphärisch, so dass der entstehende Neutronenstern eine hohe Rückstoßgeschwindigkeit und eine Eigendrehung erhält", umreißt Teammitglied Bernhard Müller die wichtigsten Konsequenzen solcher dynamischen Vorgänge im Supernovakern.

Die Forscher beabsichtigen nun, mit weiteren Modellen die messbaren Effekte der SASI genauer zu analysieren und ihre Vorhersagen entsprechender Signale zu verbessern. Auch wollen sie mit weiteren und längeren dreidimensionalen Computersimulationen verstehen, wie diese Instabilität mit dem Neutrinoheizen zusammenarbeitet und seine Wirkung verstärkt. Es soll dabei endlich geklärt werden, ob ein solches Zusammenspiel der lang gesuchte Mechanismus ist, der die Supernova auslöst und dabei den Neutronenstern als kompakten Überrest zurücklässt.

Publikationen:

Hanke F., Müller B., Wongwathanarat A., Marek A., Janka H.-Th., "SASI Activity in Three-Dimensional Neutrino-Hydrodynamics Simulations of Supernova Cores", Astrophysical Journal 770, 66 (2013); linkPfeilExtern.gifhttp://arxiv.org/abs/1303.6269

Foglizzo T., Masset F., Guilet J., Durand G., "Shallow Water Analogue of the Standing Accretion Shock Instability: Experimental Demonstration and a Two-Dimensional Model", Physical Review Letters 108, 051103 (2012); linkPfeilExtern.gifhttp://arxiv.org/abs/1112.3448


Acknowledgments:

Dank gilt Elena Erastova und Markus Rampp vom Rechenzentrum Garching für die Visualisierung der Simulationsergebnisse und Thierry Foglizzo für die Bereitstellung des Bild- und Filmmaterials von Abb. 3. Dieses Forschungsprojekt wurde von der Deutschen Forschungsgemeinschaft im Rahmen des Sonderforschungsbereichs/Transregio SFB/TR7 "Gravitationswellen-Astronomie" und des Exzellenzclusters linkPfeilExtern.gifEXC153 "Origin and Structure of the Universe" unterstützt. Die Simulationen wurden durch PRACE mit Rechenzeit (Tier-0) auf den Supercomputern CURIE TN (GENCI@CEA, Frankreich) und SuperMUC (GCS@LRZ, Garching) ermöglicht. Zur Verarbeitung der Simulationsdaten stand das IBM iDataPlex System hydra des Rechenzentrums Garching zur Verfügung.


Kontakt:

Dr. Hans-Thomas Janka
Max-Planck-Institut für Astrophysik, Garching
Tel.: +49 89 30000-2228
email: hjankampa-garching.mpg.de

Dr. Hannelore Hämmerle
Pressesprecherin
Max-Planck-Institut für Astrophysik, Garching
Tel. +49 89 30000-3980
E-mail: prmpa-garching.mpg.de


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© 2003, Max-Planck-Gesellschaft, München
Letzte Änderung: 27.6.2013