Radioaktive Elemente in Cassiopeia A liefern Hinweise auf Neutrinos als Ursache der Supernova-Explosion

21. Juni 2017
Supernovae sind eine wichtige Quelle chemischer Elemente im Kosmos. Bei diesen Sternexplosionen entstehen in ihrem heißen Innern radioaktive Atomkerne, die über die unsichtbaren Vorgänge Aufschluss liefern können, welche zur Explosion führen. Mithilfe aufwändiger Computerberechnungen gelang es nun einem Team von Forschern am Max-Planck-Institut für Astrophysik (MPA) und am RIKEN Forschungszentrum in Japan, die jüngst gemessene räumliche Verteilung von radioaktivem Titan und Nickel in Cassiopeia A zu erklären. Dieser Gasnebel ist der rund 340 Jahre alte Überrest einer relativ nahen Supernova. Die Computermodelle stützen die theoretische Vorstellung, dass solche Sternexplosionen von Neutrinos ausgelöst werden, die der im Zentrum neu entstehende Neutronenstern abstrahlt.

Massereiche Sterne beenden ihr Leben mit einer gigantischen Explosion, einer sogenannten Supernova. Während ihres Lebens bauen solche Sterne in Millionen Jahren stabiler Entwicklung einen zentralen Bereich aus Eisen auf. Sobald dieser auf die zirka eineinhalbfache Masse der Sonne angewachsen ist, kollabiert er unter dem Einfluss der eigenen Schwerkraft zu einem Neutronenstern und setzt dabei gewaltige Energiemengen durch Neutrinos frei. Diese nahezu masselosen Elementarteilchen entstehen bei den extremen Bedingungen im Innern des neugeborenen Neutronensterns, wo die Dichten höher als in Atomkernen sind und die Temperaturen mehr als 500 Milliarden Grad Kelvin erreichen können.

Seit über 50 Jahren tüfteln Theoretiker daran, die physikalischen Prozesse zu verstehen, welche die Sternexplosion auslösen und antreiben. Eine populäre Idee benutzt dazu die Neutrinos, weil diese über hundertmal mehr Energie wegtragen als die Sternhülle, die bei der Explosion einer typischen Supernova ausgeschleudert wird. Ein kleiner Bruchteil der Neutrinos, die dem Innern des Neutronensterns entkommen, wird dabei aber von der umgebenden Materie wieder absorbiert, wodurch das Gas aufgeheizt wird. Dadurch kommt es zu heftigen Bewegungen, ähnlich denen in einem Topf mit kochendem Wasser. Wird das Brodeln zu heftig, kommt es zur Supernova-Explosion - als ob der Deckel vom Topf weg gesprengt würde. Infolgedessen werden die äußeren Sternschichten in den Raum geschleudert, und mit ihnen all die chemischen Elemente, die der Stern im Lauf seines Lebens erbrütet hat. Daneben entstehen in den heißen Ejekta aber auch neue Elemente, insbesondere radioaktive Atomkerne wie Titan (44Ti mit 22 Protonen und 22 Neutronen) und Nickel (56Ni mit je 28 Protonen und Neutronen), die anschließend zu stabilem Kalzium und Eisen zerfallen. Die dabei freigesetzte Zerfallsenergie lässt eine Supernova über Jahre hinweg hell erstrahlen.

Weil das von Neutrinos geheizte Gas heftig brodelt, beginnt die Explosion asphärisch und Computermodelle lassen erwarten, dass Supernovae die Sternmaterie stark richtungsabhängig ausschleudern (Abb. 1). Genau das wird auch beobachtet: Supernovae und ihre gasförmigen Überreste sind deformiert, die chemische Zusammensetzung und Dichte des expandierendes Gases weist eine räumliche Variation auf. Die anfängliche Asymmetrie der Explosion hat insbesondere zwei wichtige Folgen. Zum einen erhält der Neutronenstern einen Rückstoß entgegengesetzt zur der Richtung, in der die Explosion am stärksten ist. Er verhält sich dabei analog zu einem Ruderboot, aus dem eine Person abspringt. Zum anderen entstehen auf der Seite der stärkeren Explosion, auf der mehr heißes Gas ausgeschleudert wird, auch mehr schwere Elemente von Silizium bis Eisen, insbesondere auch Titan und Nickel.

"Beide Effekte haben wir schon vor einigen Jahren durch unsere dreidimensionalen Simulationen Neutrino-getriebener Supernova-Explosionen vorhergesagt", betont RIKEN-Forscher Annop Wongwathanarat, der Erstautor einer entsprechenden Veröffentlichung aus dem Jahr 2013, als er noch am MPA mit seinen Koautoren H.-Thomas Janka und Ewald Müller zusammenarbeitete. "Die Asymmetrie der Verteilung radioaktiver Elemente ist umso ausgeprägter, je höher die Rückstoßgeschwindigkeit des Neutronensterns ist", fügt er hinzu. Weil die radioaktiven Atome in den innersten Regionen der Supernova in unmittelbarer Nähe des Neutronensterns entstehen, bildet ihre räumliche Verteilung die Asymmetrie der Explosion am stärksten ab.

Neue Beobachtungen von Kassiopeia A (Cas A), dem gasförmigen Überrest einer Supernova, deren Licht die Erde um das Jahr 1680 erreichte, haben mittlerweile die theoretischen Vorhersagen bestätigt. Aufgrund ihres jungen Alters und ihrer relativen Nähe (mit einer Entfernung von nur 11.000 Lichtjahren) bietet Cas A zwei große Vorteile für derartige Messungen. Erstens setzt der radioaktive Zerfall von 44Ti immer noch erhebliche Mengen Energie und damit hochenergetische (Röntgen-)Strahlung frei, so dass die räumliche Verteilung dieses radioaktiven Elements mit hoher Genauigkeit abgebildet werden kann. Zweitens sind sowohl die scheinbare Richtung als auch die Größe der Rückstoßgeschwindigkeit des Neutronensterns in Kassiopeia A bekannt: Der Neutronenstern jagt mit einer geschätzten Geschwindigkeit von mindestens 350 Kilometern pro Sekunde durchs All. Daher erwartet man eine beträchtliche Asymmetrie in der räumlichen Verteilung der radioaktiven Elemente. Genau dies wird auch beobachtet (Abb. 2a).

Während der kompakte Sternüberrest in die südliche Hemisphäre rast, befinden sich die größten und hellsten 44Ti-Strukturen zusammen mit der meisten Materie in nördlicher Richtung. Die Computersimulation zeigt, aus einem geeigneten Blickwinkel betrachtet, eine verblüffende Ähnlichkeit mit dem Beobachtungsbild (Abb. 2b). Dies demonstriert auch ein Vergleich der 3D Visualisierung der Computersimulation in Abb. 3 mit einer 3D-Karte der Beobachtungsdaten .

Aber nicht nur die räumliche Verteilung von Titan und Eisen ähnelt derjenigen in Cas A. Auch die im Rechnermodell erzeugten Mengen dieser chemischen Elemente, die zugehörigen Ausbreitungsgeschwindigkeiten und die berechnete Geschwindigkeit des Neutronensterns stimmen erstaunlich gut mit denen von Cas A überein. "Diese Fähigkeit, grundsätzliche Eigenschaften der Beobachtungen durch ausgefeilte theoretische Modelle zu reproduzieren, belegt auf beeindruckende Weise, dass Cas A tatsächlich der gasförmige Überrest einer Neutrino-getriebenen Supernova sein könnte, deren Explosion durch heftige Gasbewegungen um den Neutronenstern ausgelöst wurde", schlussfolgert H.-Thomas Janka vom MPA.

Ein überzeugender Nachweis, dass massereiche Sterne durch die Energie von Neutrinos explodieren, erfordert aber weitere Untersuchungen. "Kassiopeia A ist ein derart interessantes und wichtiges Objekt, dass wir hier auch die geometrische Verteilung aller anderen chemischen Elemente, wie z.B. Silizium, Argon, Neon und Sauerstoff, verstehen müssen", bemerkt Ewald Müller (MPA) und verweist auf die fantastische Detailfülle, die der Cas A-Überrest in der dreidimensionalen Darstellung aufweist. Außerdem reicht ein Beispiel allein nicht für einen Beweis aus, dass die theoretischen Vorhersagen die Beobachtungen erklären können. Die Forschergruppe hat sich daher einer größeren Kollaboration angeschlossen mit dem Ziel, die theoretischen Vorhersagen für Neutrino-getriebene Explosionen mit einer größeren Zahl von Supernova-Überresten zu vergleichen. So hoffen die Wissenschaftler, Schritt für Schritt genug Fakten zusammenzutragen, um das alte Rätsel zu lösen, welche Vorgänge die Supernova-Explosionen verursachen.

Abb. 3a: 56Ni

Abb. 3a: 56Ni

21. Juni 2017
Interaktive 3D Visualisierung der räumlichen Verteilung von 56Ni in der Neutrino-getriebenen Supernova-Explosion von Abb. 1.
Abb. 3b: 44Ti

Abb. 3b: 44Ti

21. Juni 2017
Interaktive 3D Visualisierung der räumlichen Verteilung von 44Ti in der Neutrino-getriebenen Supernova-Explosion von Abb. 1.

Danksagungen:

Diese Forschung wurde teilweise durch das Europäische Research Council mittels Projekt ERC-AdG No. 341157-COCO2CASA, durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft über den Exzellenzcluster Universe EXC-153 sowie durch ein RIKEN iTHES Projekt gefördert. Die Simulationen und ihre Auswertung wurden auf den IBM iDataPlex Systemen draco und hydra der Max Planck Computing and Data Facility (MPCDF) durchgeführt.

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