Physik und Neutrinophysik mit Neutronensternen

Neutronensterngeburt in Supernovae

Neutronensterne werden als extrem heiße Objekte beim Kollaps hochentwickelter, massereicher Sterne geboren, wenn deren Kernbereiche gravitativ instabil werden, während eine Supernovaexplosion den Großteil der Sternmaterie ausschleudert. Neutronensterne haben einen Durchmesser von nur 10--15 Kilometern (wie München), enthalten aber rund die 1,5-fache Masse der Sonne in einem komprimierten Zustand, dessen Dichte höher als die von Atomkernen ist. Die Neutronen und die etwa zehn Prozent verbliebenen Protonen und Elektronen sind so dicht gepackt, dass sie starke abstoßende gegenseitige Kräfte spüren, die den Stern gegen die gewaltige anziehende Gravitationskraft stabilisieren.

Beim Übergang vom anfänglich mondgroßen stellaren Kern zum ultrakompakten Neutronenstern wird eine gigantische Zahl von Neutrinos abgestrahlt. Diese geisterhaften Elementarteilchen können milliardenfach die Erde durchqueren, ohne ein einziges Mal mit der irdischen Materie wechselzuwirken. Im dichten und heißen Innern des Neutronensterns sind die Neutrinos dagegen für mehrere Sekunden gefangen. Dabei können interessante und exotische Prozesse stattfinden.

Die aus dem Neutronenstern entweichenden Neutrinos lösen nicht nur die Supernovaexplosion aus, sondern bestimmen maßgeblich auch die Bedingungen für die Entstehung schwerer Elementen jenseits von Eisen im Zentrum der Sternexplosion. Auf ihrem Weg zur Oberfläche des sterbenden Sterns können sich Neutrinos verschiedener Arten durch sog. Flavortransformationen ineinander verwandeln. Im Glücksfall einer nächsten Supernova in unserer Milchstraße werden riesige, tief unter der Erdoberfläche aufgebaute Experimente wie IceCube am Südpol, SuperKamiokande in Japan und Borexino im Gran-Sasso-Labor Zehntausende dieser Neutrinos messen. Solche Messungen werden uns einen einzigartigen Blick ins tiefste Innere eines sterbenden Sterns liefern. Gute theoretische Vorhersagen des zu erwartenden Neutrinosignals werden ausschlaggebend dafür sein, wieviel Information wir dem Neutrinosignal entlocken können.

Neutronensterne in verschmelzenden Doppelsternen

Doppelsterne aus zwei massereichen Sternen überstehen in manchen Fällen die Supernovaexplosionen der beiden Sterne. Dabei entstehen zwei Neutronensterne, die sich in einer engen Bahn gegenseitig umkreisen. Momentan kennt man zirka ein Dutzend solcher Doppelneutronensterne in unserer Milchstraße. Mit ihrer Hilfe können Astrophysiker die Einsteinsche Allgemeine Relativitätstheorie genau überprüfen. Diese Theorie sagt vorher, dass die Doppelsterne nur eine begrenzte Zeit überleben, weil sie Energie und Drehimpuls durch die Abstrahlung sog. Gravitationswellen verlieren. Solche aufeinander einspiralierenden kompakten Doppelsterne sind daher die aussichtsreichsten Quellen, um mit kilometergroßen Interferometer-Antennen wie Advanced LIGO in den USA und VIRGO in Europa direkt Gravitationswellen zu messen.

Im Endstadium ihrer Existenz wirbeln die beiden Neutronensterne nahezu mit Lichtgeschwindigkeit umeinander. Schließlich stoßen sie in einer gewaltigen Kollision zusammen und senden einen starken Puls von Gravitationswellen aus, gefolgt von einem langsamen Abklingen der Emission bis das überschwere Kollisionprodukt zu einem Schwarzen Loch kollabiert. Das Gravitationswellensignal dieser Abklingphase wird bei seiner Messung wichtige Hinweise auf den immer noch unzureichend bekannten Zustand von Materie im Innern von Neutronensternen liefern.

Kollisionen von zwei Neutronensternen oder einem Neutronenstern mit einem Schwarzen Loch werden auch als mögliche Quellen kurzer, kosmischer Gammastrahlenblitze diskutiert, bei denen intensive Gammastrahlung für Bruchteile einer Sekunde bis zu zwei Sekunden gemessen werden. Solche Kollisionsereignisse können auch mehrere Jupitermassen von extrem neutronenreicher Materie ausschleudern. Astrophysiker vermuten, dass diese Materie der lange rätselhafte kosmische Entstehungsort für die seltenen Erden und die schwersten aller chemischen Elemente wie Platin, Gold, Thorium und Uran (durch den sog. schnellen Neutroneneinfang-Prozess) ist. Verschmelzende kompakte Doppelsterne sind die momentan heißesten Kandidaten für die Herkunft dieser Elemente, aber ein direkter Beweis dafür steht noch aus. Supernovaartige Lichterscheinungen, die einige Tage nach einem kurzen Gammastrahlenblitz erwartet werden, aber viel schwächer und viel kürzer als echte Supernovae sind, könnten einen beobachtbaren Hinweis für die Richtigkeit der theoretischen Vermutung liefern.

Forscher am MPA entwickeln theoretische und numerische Modelle für diese dynamischen Prozesse bei der Geburt und beim Sterben von Neutronensternen. Damit ermöglichen sie bessere Vorhersagen der beobachtbaren Signale und der astrophysikalisch relevanten Folgen solcher kosmischen Katastrophen.



Förderungsquellen:

EXC 153: Origin and Structure of the Universe - The Cluster of Excellence for Fundamental Physics

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